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Ischias und andere Widrigkeiten


Wenn ein einziger Mensch fragt, ob ich mich im Urlaub gut erholt habe, werde ich den Ignoranten persönlich teeren und federn.

Rückblende. Zehn Tage vor Ostern verbrachte ich eine Nacht auf der Bettkante (keine dummen Fragen…), was mein Ischiasnerv als tödliche Beleidigung empfand. Ausgestattet mit Schmerztabletten und Vitamin B im Gepäck schwor ich mir megagestresst: ich steige in dieses Flugzeug und fliege auf die südliche Insel, und wenn ich hineinkriechen muss, wenn es das letzte ist, was ich in diesem Leben mache.

Allen Glücklichen, die nicht wissen, wovon ich da spreche, kann ich glaubwürdig versichern, dass Ischias zu Hause im Bett, auf einer Trauminsel und in der Hölle immer gleich weh tut. Wer damit in der Hölle sitzt, hat es vermutlich verdient. Ich habe es sicher nicht verdient. Mir steht nach aufreibenden Arbeitswochen in der düsteren Winterkälte eine chillige Auszeit in frühsommerlichem Klima und reichlich Bonding Time mit meinem Spross zu. Im Urlaubsdomizil gelandet, versuche ich positiv zu denken, schlucke dreimal am Tag ein Seractil forte und schmiere mich mit Voltadol und Sonnencreme ein. Alles lässt sich erträglich an, die Phase des Taubheitsgefühls im linken Bein ist vorüber, ein oder zwei entspannende Gläser Wein zum Abendessen werfen mich sicher nicht gleich ins Medikamentenkoma und beruhigen zudem meine Nerven. Immerhin gilt es dauerfit zu sein, zu schwimmen, Sandfestungen zu bauen, Bälle zu werfen, Kuscheltierrollenspiele zu inszenieren und Gute Nacht Geschichten zu erfinden. Die Schmerzen werden allerdings nicht besser, sondern immer unerträglicher.

Am dritten Tag entdecke ich an meinem linken Unterschenkel einen flächendeckenden, hässlichen, roten Ausschlag. Lese rasch alle Beipackzettel und kann nicht vollends ausschließen, dass es sich um eine Nebenwirkung samt allergischer Reaktion auf das eine oder andere Medikament handelt. Also ändere ich im Selbstdiagnoseverfahren flugs die Therapie, streiche das Vitamin B und sattle von Seractil auf Parkemed um. Zur

Sicherheit schlucke in fortan täglich ein Antihistaminikum. Ein Blick in die Gästemappe verschafft erleichternde Gewissheit, dass hier Ärzte im Notfall auf Zuruf verfügbar sind. Kurz überlege ich in ein Netdoktor Forum einzusteigen, doch die Angst, schlimmere Prognosen zu erfahren, hält mich davon ab.

Zwei Tage später haben sich die hellroten Flecken am Bein dunkelrot eingefärbt und sehen entzündet aus. Ich konsultiere Dr. Google, der mir sagt, dass ich das Opfer einer wilden Horde von Sandfliegen bin und im Falle einer speziellen Infektion, deren Namen ich mir mantraartig sofort wieder aus dem Kopf schlage, würde

die Sterblichkeitsrate lediglich bei 7 bis 23 % liegen. Versuche Optimismus und gute Laune zu behalten und für alle da zu sein, E-Mails meines Chefs und meiner Mitarbeiter zu beantworten, meinem Spross einen tollen Urlaub zu bereiten, die Babykatze, die bei uns übernachtet, nachts auf meinem Bauch zu tolerieren und ihr Kaffeesahnemilch um sechs Uhr zum Frühstück zu servieren, damit sie uns nicht vor Hunger annagt.

Derweil ist der Ischias immer gleich schmerzhaft. Wenn das länger anhält, sollte man die Ursache genau abklären lassen, da es sich auch um einen Tumor handeln kann. So die Auskunft einer Gesundheitswebsite. Etwas verzweifelt begebe ich mich in die Hände einer Masseurin im Hotel Spa, die zum Abschluss meine Wirbel geräuschvoll wieder in die richtige Lage knackt. Gegen den Ischias kann sie leider nichts machen, wünscht mir aber viel Glück. Warum eigentlich Glück? Das macht mir irgendwie Sorge.

Nach sieben Tagen in dem Traumhotel auf der warmen südlichen Insel geht es wieder in den Flieger nach Hause – in den ich einsteige, und wenn ich kriechen muss. Wir kommen abends an und weil es seit elf Jahren Tradition ist, dass das Kind immer am Tag der Rückkehr aus dem Urlaub in meinem Bett übernachten darf, schlafe ich schlecht, schmerzverzerrt, wehre mich gegen Tritte, die natürlich punktgenau die heiklen Stellen an Bein und Kreuz treffen und rolle einige Male mit letzter Kraft von der gefährlichen Bettkante wieder zur Mitte, fluchend und mit latenter Gewaltbereitschaft, die nur durch den Wunsch zu überleben gespeist wird.

Nach dem Erwachen und der Ostereiersuche ergebe ich mich und rufe den Ärztefunkdienst an, mit der Bitte jemanden zu schicken, der mir das geballte medizinische Spektrum in den Rücken spritzt. Ja, in ein bis zwei Stunden kommt jemand. Es dauert dann vier Stunden, aber was ist das schon gemessen an der Ewigkeit.

Der Inder – ich hielt ihn zuerst für den Taxifahrer des Arztes – gibt sich als niedergelassener Doktor mit Praxis am Mexiko Platz zu erkennen und schießt mir im Vorzimmer stehend eine Infiltration samt Atomschmerz- und Vitaminbombe hinein. Die Sandfliegenblessuren sieht er nur mitleidig an, kommentiert sie aber nicht

weiter. Offenbar hält er diese nicht für lebensgefährlich. Der Inder geht, die Schmerzen bleiben.

Ich schreibe ein kurzes Frohe Ostern und Bitte um Termin E-Mail an die Akupunkturärztin meines Vertrauens, die mir eine Stunde später antwortet, dass sie sich morgen melden wird. Ich fürchte, sie hat übersehen, dass morgen ein Feiertag ist, bedanke mich aber trotzdem überglücklich.

Um vielleicht Linderung in Hausmitteln zu finden, durchforste ich nochmals das Internet. Man soll sich in die Schichtstellung begeben. Ich baue mir also einen Turm aus Pölstern und Decken und lagere meine Beine hoch. Entlastet angeblich die Rumpfmuskulatur. Dabei komme ich mir ziemlich blöd vor, aber ich bin sicher, ich habe schon größeren Blödsinn in meinem Leben gemacht. Es ist nicht unbequem, nur der Polsterdeckenhaufen ist eine recht wackelige Angelegenheit. Wenn man nicht aufpasst, rollt man ganz schnell auf die Bettkante zu. Und um aufzupassen, darf man nicht einschlafen. Ich gebe diese abartige Stellung auf und schalte zur Ablenkung den Fernseher ein. Es läuft eine Werbung für Voltadol Schmerzgel, wirkt 12 Stunden. Die wollen mich verarschen. Note to self: Nicht alles was Werbung verspricht, ist wahr!

Ich versuche es mit autogenem Training. Stelle mir den rosa Schmerz vor, wie er aus meinem Körper weicht und an die Decke schwebt. Erstaunlicherweise scheint das zu helfen. Ich schlafe ein. Nach zwei Stunden kommt mein Nachtwanderer und drängt mich aus dem Bett, das ich freiwillig verlasse (beware of the Bettkante!) und mein Lager im Kinderzimmer aufschlage, Beine hoch auf einem Untersatz von Riesen Angry Bird und dem Sunny Bunny Osterhasen. Am Vormittag erwache ich gut ausgeruht und schmerzfrei. Gott schütze den Inder!

Leider hält der Zustand nicht lange an und am Nachmittag greife ich wieder auf ein Sercatil zurück und überlege mich mit dem Orthopädengott, der mir vor Jahren einmal chiropraktisch den Kopf verdreht hat, auf Facebook zu befreunden, um so zu einem schnellen Termin zu kommen. Der Mann ist nicht auf Facebook. Er wird schon wissen warum. Dafür ereilt mich ein Mail der Akupunkturärztin, die mir einen Termin für morgen um 17 Uhr avisiert.

Es kann nur besser werden. Darauf trinke ich jetzt ein Glas Wein. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Morgen wartet das Büro auf mich. Ich werde hinkriechen und alle, die mich fragen, ob ich gut erholt bin, zur Sau machen.

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