Ein Käfig für Nagetiere
Zu sagen, ich sei kein großer Fan von Kaugummis, wäre sprachliches Understatement auf höchstem Niveau. Wenn ein Mann einen Kinofilm lang neben mir Backenmuskeltraining betreibt, bei dem ich nicht sein Sparingspartner bin, entfährt mir schon mal ein genervtes „Und schmeckt der eigentlich noch nach was?“ Die meisten mit offenem Mund Kauenden verstehen. Aber lange nicht alle. Meinen kauinduzierten Unmut nonchalant zu unterdrücken ist mir ein Ding der Unmöglichkeit. Manche Töne bringen mich einfach völlig an den Rand des Nervenzusammenbruchs und dazu gehören Kaugeräusche aller Art. An der Spitze stehen Karotten. Dicht gefolgt von Knäckebrot. Stellen Sie sich vor: Frau lernt einen Mann kennen, man kostet sich gemeinsam durch die Gourmettempel der Stadt und gewinnt den Eindruck, der potentiell Zukünftige habe von seiner Frau Mama ausreichend Tischmanieren mitbekommen und schließt meist den Mund, nachdem der einen Bissen darin versenkt hat. Ist der neue Mann also einmal auf Kaugeräuschtauglichkeit geprüft, lässt man ihn mal längere Zeit in den eigenen vier Wänden verweilen und probt die traute Zweisamkeit. Man ist ja noch nicht misstrauisch, wenn er nach dem Büro ein Sackerl Bio-Karotten mitbringt und sich damit auf der Couch niederlässt. Doch dann geht das Ohrmartyrium los. Eine Karotte nach der anderen wird mit einem lauten, knackigen Biss in Angriff genommen und bis zum Erbrechen der Zuhörerin niedergekaut. Manchmal reichen die Karotten nicht aus und der hungrige Nager hätte gern ein Brot dazu. Bei mir ist oft nur Knäckebrot vorrätig, was der Hase als Gesundheitsfreak sehr begrüßt. Dachte ich, die Karottenorgie wäre kaum zu ertragen, hatte ich noch keine Vorstellung, was für eine latente Gewaltbereitschaft das Zermalmen von Knäckebrotscheiben in mir auslöst. Während ich abwäge, ob ein gezielter Keulenschlag vor den Geschworenen als Notwehr durchgehen würde, wetze ich unter dieser Folter hin und her, winde mich und suche nach Worten, die den Kerl davon abhalten, weiter zu essen, ohne ihn damit zutiefst zu beleidigen. Nachdem es dazu keine passenden Worte gibt, revanchiere ich mich mit anhaltendem Räuspern. Das löst zu Beginn noch Besorgnis über meine Halsgesundheit aus, wird aber eine gefühlte Ewigkeit später zumindest richtig assoziiert, „Passt Dir was nicht?“. „Nein, warum denn?“, würge ich die niederschmetternde Lüge meinerseits hervor. Obwohl der Lautesser Suppen durchaus manierlich zu sich nimmt, trifft das leider nicht auf alle Flüssigkeiten zu. Und damit wären wir bei Nummer drei der unerträglichsten Geräusche, die ein Mann einer Frau antun kann: das Schlürfen von brühwarmen Tee in kleinen Schlucken, die von einem Schlürfer eingeleitet und mit einem schluckenden Gulpen abgeschlossen werden. Immer in Terzen. Schlürf-Gulp, schlürf-gulp, schlürf-gulp. Ich habe einen karottennagenden, knäckemalmenden Teegulper in mein Leben gelassen! Ich werde in meinem Vorgarten einen Hasenstall errichten müssen und wenn mich die Nachbarn eines Tages fragen, warum ich meinen Freund im Käfig halte, werde ich ein Schild anbringen: „Zutraulicher Nager auf guten Platz zu vergeben!“