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Großmütter und Generäle


Während meiner Studienzeit – ich ließ mich Semester um Semester durch das hippe, aber nicht immer brotspendende Studium der Kommunikationswissenschaften und Geschichte treiben – war ich mir völlig im Unklaren, was einmal aus mir werden sollte. Liternaturnobelpreis, Pulitzerpreis, glasklar, … aber wie aktuell das Leben finanzieren? So kam es, dass ich auf der Suche nach einem Nebenjob über drei Ecken beim Film landete.

Als Mädchen für Alles jobbte ich bei einer Casting Agentur und ab und an hatte ich selbst in einigen Produktionen Gastauftritte (meistens dann, wenn sich nicht einmal die hartgesottensten Komparsinnen für die zu besetzende Rolle hergeben wollten). Nachdem mir das Kunststück gelungen war, Robert Mitchum mit Whiskey zu besänftigen (ich hasse es Whiskey am Vormittag trinken zu müssen … mehr davon später) und eine Nacht mit Hardy Krüger bei unter null Grad auf einer Bunkertreppe zu verbringen (auch davon demnächst mehr…), beschloss der Agenturchef mich in den engeren Kreis aufzunehmen und ich durfte meinen ersten Film selbst besetzen. Es war eine deutsche Produktion, „Geheime Reichssache“ der Titel, gedreht wurde noch im alten Wien-Film Gelände in Sievering und Michael Kehlmann war der Regisseur. Der großen Verantwortung war ich mir bewusst. Man hatte mich zwar gewarnt, dass er sehr anspruchsvoll war, und mir wurde nach der ersten Begegnung schnell klar, weshalb ich befördert worden war.

Bei der ersten Regiebesprechung brüllte der große Kehlmann lauthals und unentwegt herum und nachdem er alle anderen am Tisch kannte und bereits zur Schnecke gemacht hatte, brüllte er mich, die Neue, aus dem Hinterhalt an, „Und wer sind Sie!?“ Ich brachte ein zaghaftes „Ich bin von der Besetzungsagentur“ heraus und sein einziger Kommentar war, „Ah, Sie werden mir also mit den Arschgesichtern den Film versauen“. Er entließ mich mit dem Auftrag innerhalb einer Woche Vorschläge für die Besetzung des Generalstabs der deutschen Wehrmacht beizubringen. Kein Problem, wozu studierte ich denn Geschichte! Nächtelang saß ich vor historischen Wälzern (das Internet gab es noch nicht) und hatte wirklich wahre Reinkarnationen von Himmler, Raeder und Co aus der Kleindarstellerkartei herausgefiltert. Als ich dem selbsternannten Zampano Kehlmann bei der nächsten Sitzung unter die überkritischen Augen trat, scheuchte mich der Regieassistent Gernot, ein fröhlicher, rundlicher Mann mit Bart, in ein winziges Kammerl ohne Tageslicht, wo Kehlmann über einem Skript brütete. Aufgeschreckt brüllte er Gernot an: „Wer ist das und was will sie?! Ich erklärte geduldig, ich wäre von der Besetzungsagentur und Gernot zog sich eilfertig nickend zurück. Kehlmann und ich waren alleine in dem Kammerl, es war eine entrische Situation. Er besah sich die Casting Fotos, schwieg unheilschwanger, um ansatzlos mit hochrotem Kopf loszubrüllen, „Das sind Großmütter, keine Generäle!“ Mit einer unwirschen Handbewegung bedeutete er mir, ich solle mich aus seinem Universum entfernen. Ich war fertig, den Tränen nahe und schlich mich aus dem Kammerl, bevor er mich schlagen würde. Und ich hatte nicht den geringsten Zweifel, dass er mich schlagen würde, um bessere Generäle zu bekommen. Gernot stand zitternd vor der Folterkammer und sah nicht so aus, als ob er sich gerne wieder in die Höhle des Löwen begeben würde. Resignierend, mit hängenden Schultern, betrat er nach mir die dunkle, wirklich extrem winzige Besenkammer und ich hörte bei meinem Abgang noch ein unflätiges Brüllen über Großmütter und unfähige Frauenzimmer, die vorsätzlich und nachhaltig das Filmmeisterwerk ruinieren werden. Verzweifelt und ratlos pikte ich einfach blind die nächstbesten 12 Fotos von Männern im passenden Alter aus der Kartei, legte sie dem Regieboss am nächsten Tag mit gesenktem Haupt vor – und er war begeistert … und konnte sich vor Lob kaum im Sessel halten, „Endlich haben Sie kapiert! Das sind Generäle!“ Ich glaube, er klopfte mir sogar anerkennend auf die Schulter.

Kehlmann konnte oder wollte sich dann die ersten beiden Drehwochen lang nicht merken, wer ich war und stellte immer dieselbe Frage an Gernot: „Und wer ist das?“ Der Assistent war gegen Ende der zweiten Woche nur noch ein Schatten seiner rundlichen Gestalt. Nachdem Gernot aufgegeben hatte, zu antworten, ging Kehlmann dazu über, die Frage bei jeder sich bietenden Gelegenheit an mich direkt zu richten. Oftmals durch ein Megaphon. Ja, er hatte ein Megaphon am Set, für Fälle, wo normales Anbrüllen nicht mehr reicht. Also für mich etwa. „Und wer sind Sie!?“, schallte es dann über das gesamte Gelände und ich erklärte ihm stur, ich sei von der Besetzungsagentur. Nach vier Wochen hatten wir das Frage-Antwort-Spiel schließlich zu einem Running Gag gemacht und nach Ende der Drehzeit durfte ich den Meister Mischa nennen. Das Geschenk an Mischa Kehlmann zur Drehschlussparty war eine Vergrößerung eines alten Volksschulklassenfotos, da unglaublicher Weise mein Vater mit Michael Kehlmann drei Jahre in dieselbe Volksschulklasse gegangen war und dieses Foto in seinem Fundus hatte. Der brüllende Sturkopf lächelte leise und war zu Tränen gerührt.

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