Red Carpet
Mein Kater fühlt sich, als ob die Oscars demnächst live in unserem Wohnzimmer verliehen werden.
Dort liegt seit zwei Tagen ein neuer Teppich. Er ist rot wie das Fegefeuer. In erster Linie deshalb, da die Farbe Rotweinflecken eher verzeiht, als der hübsche, helle Berber, der daran glauben musste, weil ich in einem Anfall von Verzweiflungswut (über das sich wiederholende Zahnfiasko von Silvester, aber das führt jetzt zu weit…) den Tag mit einem Pinot Noir zur Hölle geschickt und dabei zu heftig herumgefuchtelt hatte. Meine Katzen jedenfalls sind ob der roten Opfergabe an die altägyptische Fellnasengöttin außer sich vor Freude. Besonders Fino, der Kater, steht auf Rot. Schließlich ist das seine Fellfarbe und sich selbst liebt er überhaupt am meisten. Das einzige auf dieser Welt, was er noch mehr liebt, ist Futter. Beim Fressen kennt er keine Gnade.
Der Kater hat schon lange raus, wie er es anstellen muss, mich frühmorgens aus dem Bett zu treten, damit ich schlaftrunken in die Küche taumle und seine Schüssel anfülle. Der Gerechtigkeit halber auch die seiner Artgenossin, Holly, die ihrer Rasse als kühle Russisch-Blau alle Ehre macht und samt lackierten Krallen im upper-case Stakkato einer indischen Maharani mondän über den Parkett klappernd sogar in drittklassigen Off-Broadway Stücken unangefochten als Audrey mit Zigarettenspitz durchgehen könnte. Das „Mama, habe Hunger“-Szenario ist jeden Morgen ein Abbild einer mittelalterlichen Folterkammer, in der ich mehr oder weniger freiwillig um sechs Uhr mein Bett verlasse, um die Eigentümer der Wohnung, die mich als lästigen Untermieter und unbezahlten Dienstboten dulden, zu versorgen, ehe sie mich auf einer Atommülldeponie in Bulgarien entsorgen.
Fino inhaliert der Inhalt seiner Schüssel wie ein Sheba-Junkie auf Kurzurlaub in Medellín binnen zehn Sekunden, während Holly, Beluga Kaviar auf einem zero-calory Salatblatt ersehnend, angewidert keine drei Bissen zu sich genommen hat, rückt ihr an die Pelle, rempelt Madame zur Seite und leert ihren Napf bis er glitzert wie das Tafelsilber der Queen.
Natürlich wissen die felligen Beherrscher meines Lebens nicht, was Wochenende bedeutet und dass da die Uhren anders ticken. Also hat sich der Kater die Unart angewöhnt, ab sechs Uhr morgens auf mir zu liegen, fischigen Atem in mein Gesichtsfeld zu verströmen und seine knappen sechs Kilo Lebendgewicht als schwerwiegendes Argument einzusetzen. Das macht er nur bei mir, weil er weiß, dass ich schwaches Weib irgendwann nachgebe. Mr. Silvera hingegen lässt er in Ruhe. Mr Silvera hat dem Kater beizeiten klar gemacht, dass er nicht für Raubtierfütterungen zuständig ist. Geordnete Männerverhältnisse sozusagen. Jedenfalls solange, bis eines Tages Mr Silvera den Kardinalsfehler begeht und sich unzurechnungsfähig, noch im Halbschlaf, vom tödlich ersüßenden Blick des Katers betört, dazu hinreißen lässt, eine Dose aufzureißen. Bauernschlau wie der Kater ist, quält er uns nun des Morgens im Doppelpack, eines der bediensteten Faultiere wird schon spuren. Dabei ist dem Zimmertiger kein linker Haken zu gemein. Vorzugsweise legt er sich auf Mr Silveras Gesicht und wartet, bis Atemnot eintritt. Streng aber sanft wird er postwendend von Silvera aus dem Bett auf den Boden befördert. Darob greift Fino, der keineswegs dick ist, bloß zu viel Bauchfell hat, zu härteren Methoden. Er schwingt sich mit der Eleganz eines Schwergewichtsboxers auf die Kommode, setzt zum Sprung an die Zimmerdecke an, um von dort wie ein Hinklestein in Mr Silveras Magengrube zu landen. Ich tue dann meist so, als hätte ich nichts von den Psychoduellen hinter meinem Rücken bemerkt und würde noch tief schlafen. Der Mann nebenan und ich sind wortlos übereingekommen, uns nicht aufgrund des beziehungserschwerenden Bettgenossen zu trennen, sondern den Kater zu erziehen (Warnung: Der Erste, der dazu einen katzenpädagogisch wertvollen Kommentar abgibt, wird blockiert!).
Als erziehungstechnisch möglicherweise wenig hilfreiche Konsequenz wird der Kater nach dem ersten Bombeneinschlag in empfindlichen Körperweichteilen des Mannes von diesem unsanft in hohem Bogen aus dem Bett geschleudert. Dabei landet er auf der Katze. Holly (Golightly) ist über den wenig sexy anmutenden Frontalbegattungsversuch not very amused. Die Russin kehrt die Anna Karenina in sich hervor und zeigt dem roten Waldkater, wie der Hochadel mit seinen Feinden umgeht. Für einen kurzen Moment vergisst Fino Fjodorowitsch Wronskij, dass er nach Jahrzehnten des Hungerns im Straflager seinem Ende nahe ist, verzieht sich ans andere Ende des Bettes und schaltet das Katzenkopfkino ein, um sein bemitleidenswertes Dasein auszublenden. Den Hut tief ins Gesicht gezogen, wie Humphrey Bogart, sieht er sich vor seinem geistigen Auge an einem zugigen Bahnsteig irgendwo in Sibirien stehen, ein Gurkenglas in der Hand, in dem der Vodka langsam zur Neige geht, innerlich Tolstoi verfluchend, während Anna-Holly die Graue, das vereiste Haar mit einer Chanel-Pelzmütze bedeckt, ihren wehmütigen Blick in die Ferne der Tundra richtet. Innerlich gebrochen, wendet sich Fino Fjodorowitsch Wronskij ab, öffnet in Ermangelung realer Bahngeleise mit letzter Pfotenkraft die schwere Glasschwebetür meines Kastens, schließt sie leise hinter sich, und zieht sich – statt in den Krieg – zum Sterben in die dunkle Einsamkeit meiner Cocktailkleider zurück. Für die Rolle des Grafen Wronskij hat sich der Kater einen Oscar verdient, zumindest einen Logenplatz am Red Carpet im Wohnzimmer.