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Trauerspiel in 5 Akten

Ich weiß, das Thema Trauer geht eigentlich gar nicht auf einem Blog wie diesem. Nur ist es so, dass das Überleben am Rande des ganz alltäglichen Wahnsinns zwangsläufig auch an diesen tristen Abgründen des Lebens vorbeiführt. Daher wandle ich heute am Rande der Pietätlosigkeit. Tod ist traurig. Man schweigt ihn tot, den Sensenmann, breitet das Schweigen des Vergessens aus. Oder kann man einen schmerzlichen Verlust auch anders verarbeiten? Darf man dem Tod aberwitzige Momente abgewinnen? Ich sage ja. Denn dort, wo tiefe Trauer liegt, lauert nebenher ermunternde und lebensbejahende Heiterkeit. Vielleicht ist das gut so.

1. Akt

Das erste Begräbnis erlebte ich mit 14 Jahren. Ein sehr lieber, mein liebster, erster männlicher Freund und Klassenkollege war an Leukämie verstorben. Er hatte mich mit den Beatles bekannt gemacht. Muss ich mehr sagen? Es war ein sonniger Tag. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ein mir unbekanntes, unscheinbares Mädchen aus der Schule bei der Beerdigung die ganze Zeit heulte wie eine abgestochene Eule und sich am Ende des letzten Weges in das Grab stürzen wollte. Es war ein Urnengrab. Was den Versuch zu einer lächerlichen Tragödie verkommen ließ. Die Heiterkeit, die sie der Trauergemeinde auf Jahrzehnte hin bescherte, ist legendär. Sorry Paul, ich weiß, Du hast am meisten gelacht!

2. Akt

Leider haben sich in den letzten Wochen die Abschiede lieber Menschen aus meinem Leben gehäuft. Was mich vermutlich auch zur Aufarbeitung dieser sehr unterschiedlichen Trauermomente inspiriert hat. Eine liebe Freundin war in meinem Alter, als sie gehen musste. Eher jünger. Dazu fehlen mir die Worte, liebe Evelyn. Danke für die Zeit, für die Freundschaft und für die wunderbaren Fotos. Ich hoffe, Du tanzt Salsa über den Wolken… only the good die young, und der Dezember war offenbar keine gute Zeit für die Guten in meinem Universum. Im zweiten Akt fehlt zugegeben der skurrile Bezug zum Tod, den ich auch nicht herzustellen vermag, außer vielleicht, dass ich es nicht zu Evelyns letzter Verabschiedung geschafft habe, weil just als ich mich auf den Weg zum Friedhof machen wollte, mein Vater einen Schlaganfall hatte und ich die letzten Stunden bei ihm im Spital verbracht habe.

3. Akt

Das unerwartete Ableben meines geliebten Vaters hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Wie betäubt arbeitet man alle notwendigen Schritte ab, um es ein letztes Mal richtig zu machen und sagen zu können: Ja, er wäre stolz auf mich … so hätte er es haben wollen. Dazu gehört neben vielen anderen tröstlichen und aufreibenden Gesprächen mit seinen Freunden und Bekannten auch das Gespräch mit dem örtlichen Pfarrer in Vorbereitung auf die Trauerrede und Seelenmesse. Pater D. und ich vereinbaren also einen Termin im Anschluss an die Samstagabend-Messe zur Johannisweinweihe – im Rahmen eines pfarrkultuellen After Church Events. Der Kirchenmann ist mir auf Anhieb sympathisch und als wir uns gemeinsam an den Tisch setzen, entbietet er mir ein Glas Wein. Ich lehne nicht ab, weil ich nicht unhöflich sein will und es ehrlich gesagt ganz gut brauchen kann. Das Stück Brot verweigere ich – wie jeder weiß, offenbart sich uns der Teufel in Gestalt von Kohlenhydraten. Peinlich berührt erinnere ich mich der alten Tradition, das Brot miteinander zu brechen, als der Pater sein Brot teilt und mir wortlos die Hälfte reicht. Widerspruch sinnlos. Ich nage die nächste Zeit lustlos daran herum. Die Rede des Kulturvereinsvorsitzenden beginnt und dauert eine gute Stunde an. Zwischen Pater D. und mir liegen die Parte und mein Text für die Trauerfeier. Ich beäuge beide auf übersehene Rechtschreibfehler und finde keine. Der Pater winkt einem dienstbaren Geist und lässt mehr Wein nachschenken. Ich solle schnell noch austrinken, es folgt eine andere Rebsorte. Ich bekomme nicht mit, was er von mir will. Egal. Gemischter Satz. Nachdem das Wort an den örtlichen Historiker übergeben wurde, wird mir klar, dass ich hier nicht so bald wegkomme. Pater D. bemüht sich höchstpersönlich, holt eine Nachschubweinflasche an unseren Tisch und gießt uns beiden stetig nach. Nachdem die pseudokulturellen Belabberungen ein Ende gefunden haben, bekundet er mir bei einem letzten Glas noch sein Beileid. Ich höre Papa in mein Ohr flüstern: ‚Das reicht, Du kannst Dich jetzt ruhig schleichen‘. Reichlich beschwipst folge ich seinem Rat gut eineinhalb Liter später und schwanke nach Hause… habe meinem alten Herrn alle Ehre gemacht, immerhin ist die Tradition unserer Winzerfamilie über 800 Jahre alt.

4. Akt

Wenige Tage später erliegt der begnadete Journalistenkollege Kurt Kuch seinem Krebsleiden. Mit nur 42 Jahren. Unfassbar. Er wird fehlen. Er hat seinen Kampf gegen das Rauchen und gegen den Lungenkrebs über Social Media öffentlich gemacht. Er hat verloren. Betroffen teile ich sein letztes Foto, mit dem er kurz vor seinem Tod ein letztes leises Lebewohl in die Welt geschickt hat und antworte einer Freundin, die das kommentiert, mit den Worten, dass ich sicher bin, er würde bereits eine gute Zeit mit Bob Woodward und Carl Bernstein und all den anderen coolen Typen da oben verbringen. Erst rund 24 Stunden später frage ich mich, ob Woodward und Bernstein eigentlich schon tot sind. Ich meine, sie müssten es sein, oder? Watergate ist gefühlte 99 plus Jahre her…! Nein! Nein!!! Der Dekan wird mir mein Diplom aberkennen, wenn er das jemals liest. Und Google bescheinigt mir unerbittlich und mit höhnischem Grinsen: die Ikonen des Enthüllungsjournalismus leben noch flott vor sich hin, singen Karaoke und tanzen Cha-Cha-Cha. Ich lösche peinlich berührt den Halbsatz meines Kommentars und frage mich, wer von meinen Followern sich darob bereits entfreundet hat… oh Gott, das ist Alzheimer im Frühstadium… ich sollte an Dinge wie Patientenverfügung, Pflegevorsorge und ein Testament denken … Freunde, wir sehen uns früher als erwartet wieder … aaahhh …

5. Akt

Neue Szene. Letzter Akt. Ein mir zutiefst nahegehender Todesfall, der wenige Jahre zurück liegt. Schweren Herzens setze ich mich anlässlich der Trauerfeier in den Flieger nach Amerika. Nicht einmal die Business Class kann mich trösten. Ich erwarte, was man hierzulande bei Begräbnisfeierlichkeiten geboten bekommt. Tränen, Schleier, Schwermut, erbschleichende Verwandte und einen tristen Leichenschmaus. Weit gefehlt. Mit meinem schicken schwarzen Kleid bin ich allein auf weiter Flur unter den sommerlichen Outfits der anderen Trauergäste. Die Messe in der Kirche ist berührend, die Reden kommen von Herzen und ich komme aus dem Heulen nicht mehr raus. Anschließend beginnt … die große Party – weiß gedeckte Tische, ein ansprechendes Büffet und eine gut bestückte Bar. Die Gäste feiern das vergangene Leben, und da die Verstorbene ein sehr lebenslustiger Mensch war, macht ihr die versammelte Gesellschaft alle Ehre. Am späten Nachmittag übersiedeln die Familie und die engsten Freude in ein mondänes Anwesen in den Hills mit Blick auf das Meer. Milliardär N. hat es freundlicherweise mitsamt acht Schlafzimmern, Wohnhalle, Edelstahlküche und Bar zum Ausklang angeboten. Mrs. N., die Dame des Hauses, erkennt schnell meinen Glamourfaktor und begrüßt mich mit chili-scharfem Blick, „Oh, Sie sind aus Austria, ach ja, die sind alle groß und blond“. Ich schlucke die Aufklärung runter, dass sie Österreich mit Schweden verwechselt und sattle erwartungslos von Champagner auf trockenen Weißwein um. Die üblichen Verdächtigen haben sich im Küchen- und Barbereich versammelt und es fehlt nicht an Prominenz aus Hollywood.

Die Stimmung ist entspannt, draußen ist es bereits dunkel. Auf der Terrasse sinniere ich gerade über die Vergänglichkeit des Lebens, als M. sein in Shorts gewandetes Bein ausstreckt, meinen Fuß streichelt und mir mit professionell geschulter Verführerstimme zuflüstert, „He, Gorgeous, sei nicht traurig, das ist ein Fest der Liebe“. Spannend, denke ich. Da kannst Du auf ein paar tausend Clubbings, an dubiosen Bartheken und Schnick-Schnack Partys in High Heels abhängen und unter Garantie triffst Du keinen Mann der interessanter als George Clooneys linke Socke ist. Und trotz geröteter Augen flirtet Dich aus dem Blauen heraus der Sexiest Man Alive an. Es ist eine verrückte Welt. Aus dem Poollautsprecher tönt „Cherish the love we have, we should cherish the life we live“ und M. raunt, „Let’s dance“. Nachdem er unbeschuht ist, werfe ich meine Heels und traurigen Gedanken über Bord und singe mit Kool & the Gang, „Let's cherish ev'ry moment we have been given for time is passing by! Could we make it through the night?“

Trauerspiel in fünf Akten - Lili Bach Blog

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