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Das Mandarinen-Dilemma

Hausfrau dagegen sehr... | Lili Bach | Blog

Advent. Die Zeit der Mandarinen. Nicht immer herrscht Einigkeit über das Schälen von Mandarinen als Bemutterungsservice unserer kleineren und größeren Sprosse. Ich bin bekennende Mandarinenschälerin. Der Spross liebt Mandarinen, gerade im Advent, wenn sie besonders saftig und süß sind, und er liebt es, die Früchte geschält vorgesetzt zu erhalten. Weil das immer schon so war und immer so sein wird. Ja, und da scheiden sich die Geister und spuken in der vorweihnachtlichen Stimmung was das Beziehungszeug gerade noch aushält.

Heute hat mich mein Chef nach einem Termin vom Mittelpunkt unserer Stadt, dem Stephansplatz, in mein Büro chauffiert. Schwer beeindruckt von Mr Silvera, ließ er grüßen und wollte wissen, wie es so gehe. Gut, ließ ich wissen. Ich sage nicht vielen vieles aus meinem Privatleben, aber die Geschichte mit den Mandarinen, die kann man erzählen, die ist harmlos. An sich. Wenn alles gut ist, außer über das Schälen von Mandarinen unterschiedlicher Ansicht zu sein, ist es gut. Und es ist verdammt gut. Und weil nichts perfekt sein kann, und wenn man sagt, es wäre perfekt, weiß ohnehin jeder schon, was es geschlagen hat. Nach der Mandarinen Story höre ich folgendes von meinem an Jahren und Kindern erfahrenen Chef: So ist das mit den Mandarinen. Meine Frau schält sie immer für unseren Sohn und sie wird das immer machen. Ich darf keine Mandarine schälen, das darf nur seine Mutter. Sie schneidet die Äpfel in Spalten und die Brote in Scheiben. Für einen Achtzehnjährigen. Und das ist gut so. Das muss so sein.

Wie ich bei der Gelegenheit erfahren habe, macht auch die Frau unseres Steuerberaters seit 19 Jahren genau dasselbe mit den Mandarinen, jedenfalls solange der Sohnemann feste Nahrung zu sich nimmt. Dafür wird sie regelmäßig von ihrem Mann kritisiert. Von jenem Mann, der sich mit dem Spross in einen Flieger nach London setzt, dort nächtigt, um um sechs Uhr früh aufzustehen und sich ab sieben in eine Schlange von 700 Menschen einzureihen, die auf die Öffnung eines Geschäftes wartet, um einen neuen It-Pulli zu ergattern, von einem Label, das aus zwei Namen besteht. Abercrombie oder so irgendwie. Das ist die Härte, echt jetzt, kann der doch mit 19 alleine? Ja, aber…, meint mein Chef mit einem verständnisvollen Grinsen.

Daraufhin habe ich eine kleine Umfrage gestartet. Alle, wirklich alle Teilnehmer, schälen den Kindern, unabhängig vom Alter, die Mandarinen. Und wenn sie bei ihrem Eltern sind, erhalten sie geschälte Mandarinen, Erdbeeren ohne Grün mit Schlag bis zum Abwinken und entkernte Kirschen, das soll auch vorkommen, selbst in den besten Familien. Weil das so ist, weil es anders undenkbar wäre.

Ich schäle die Mandarinen für den Spross, weil schon meine Mama sie immer für mich geschält hat. Es sind die kleinen alltäglichen Mutterliebesbeweise. Was davon bleiben wird, ist die Erinnerung in einem Menschen, dass ihm seine Mutter immer die Mandarinen geschält hat. Er wird es dann einmal lächerlich finden. Aber es wird ein warmes Lächeln sein. Es wird ihn das für seine Kinder tun lassen. Oder Verständnis dafür aufbringen lassen, dass es die Mutter seiner Kinder tut.

In einem Blog fand ich einen Beitrag, in dem eine Mutter einen Brief an ihren sechzehnjährigen Sohn schrieb. Unter anderem stand da folgendes:

***

Wir sind nicht immer einer Meinung und ein pubertierender Jugendlicher muss sich schließlich abgrenzen, um sich zum eigenständigen Menschen zu entwickeln. Wir diskutieren häufiger als früher und es wird auch mal laut. Doch letztlich finden wir immer eine Lösung. Manchmal ist es nicht für beide Seiten zufriedenstellend, doch meist siegt am Ende die Vernunft. Ich weiß, wie du tickst und das ist unglaublich wertvoll!

Auch in der Schule findest du genau das richtige Maß, wie du mit möglichst wenig Aufwand den gewünschten Erfolg erzielst. Es funktioniert, trotz deiner seit einiger Zeit entdeckten Liebe für Computerspiele. Ich darf es ja kaum sagen, aber ich bewundere deine Multitasking-Fähigkeiten: Du spielst online am PC ein Computerspiel, auf einem zweiten Bildschirm ist Skype geöffnet, worüber du per Kopfhörer mit deinen Freunden kommunizierst. Daneben steht das iPad, wo du ein Youtube Video verfolgst und außerdem bedienst du am Handy einen WhatsApp Chat. Himmel!!

Haben wir da etwas falsch gemacht? Ist das nicht zuviel Technikgedöns für einen Jungen? Unser Motto war immer: Sobald der Junge in der Schule abrutscht, werden die Geräte nach und nach eingesammelt. Du wusstest das und hast dir noch mehr Mühe in der Schule gegeben. Das beschert dir nun in der zehnten Klasse einen Notendurchschnitt, der mit zu besten gehört, die du je hattest. BRAVO!

Selten nimmst du Meinungen anderer an, die du nicht für dich überprüft hast. Du hattest immer deinen eigenen Kopf! Das schlug sich schon im Alter von fünf Jahren nieder, als du als einziger der ganzen Familie und des Freundeskreises vom BVB-Fan zu den Schalkern überliefst. Keiner weiß, wie das geschehen konnte. Aber so bist du eben und das ist gut so! :-) Sei weiter mutig und neugierig auf das Leben!

***

Ich liebe diese Mutter! Ich bin sicher, sie schält Mandarinen im Akkordtempo. Sie weiß, wie wichtig das ist und sie hat das Vertrauen, dass alles gut ist, wie es ist. Wir alle brauchen dieses Vertrauen in unsere Kids wirklich dringend.

Es ist nicht immer der Ton, der die Musik macht. Es darf auch mal herb oder unwillig sein. Kinder, die Höflichkeit bis zum Erbrechen heucheln, bis zur unerträglichen Unterwürfigkeit gefallen wollen, und dann hinter dem Rücken ihrer Eltern Dinge sagen und tun, die schlimmer sind als alles, was von handelsüblichen pubertierenden Sprössen vorstellbar wäre, sind mir sehr, sehr suspekt. Solche kenne ich auch, sie tun mir leid. Sie sind die tickenden Bomben in unserer Gesellschaft und werden die nächsten Generationen nicht besser machen.

Angepasstheit ist etwas, was ich nie für mich wollte, vielleicht kann ich es deshalb verstehen. Vielleicht war ich in dem Alter nicht so viel anders, vielleicht habe ich gegen die eine oder andere Regel verstoßen, Türen zugeschmissen, den Hörer auf die Gabel einer Telefonzelle geknallt, aber ich hatte nichtsdestotrotz uneingeschränkte Liebe durch meine Eltern, bekam trotzdem geschälte Mandarinen, ich war mir ihrer Liebe sicher, und ich weiß, dass mich das und ihr Vertrauen in mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich bin. Kinder brauchen die Sicherheit, dass wir sie lassen und lieben, so wie sie sind. Sie brauchen geschälte Mandarinen.

Es braucht eine Erziehungsgelassenheit, dass sich Kinder mit viel Liebe gut entwickeln, sagt unter einer Legion anderer Monika Distelberger, eine Kinder- und Familien-Psychologin, selbst Mutter von vier Kindern, sehr entspannt. Mit einem vorgelebten Grundmaß an Respekt und Rücksichtnahme, ohne Vorwürfe, keine unerfüllbaren Gebote. All das würde ihnen Selbsterkenntnis und persönliche Entwicklung nehmen. Kinder brauchen unerschütterliche Liebe und Sicherheit, um diese in ihrem späteren Leben in Glück erfahren und umsetzen zu können. Von Mandarinen sagt sie nichts, aber das muss man ja nicht extra erwähnen, das ist selbstverständlich.

Mandarinen an sich sind lieb- und wesenlos. Ein Hoch auf und ein Plädoyer für liebevoll geschälte Mandarinen!

Kinder müssen zum Nikolo, zu Weihnachten, das ganze Jahr, ihr Leben lang geschälte Mandarinen bekommen.

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