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Barflys und Klassefrauen

Listen | Lili Bach | Bild © Mr Silvera, Rouen18.09.2016

An einer Hotelbar am Flughafen Charles de Gaulles, auf dem Weg von Paris nach Mailand, sitzt zu späterer Stunde ein Liebhaber ohne festen Wohnsitz, immer auf der Flucht, getrieben von einer Sehnsucht, auf der Suche nach etwas Verlorenem, das zu finden er weder hofft noch hoffen will. Als allerletztes eine Frau, schon gar keine Klassefrau. Es ist ohnehin keine in Sicht. Aber wer weiß, vielleicht kann ich sie erfinden, die beiden, den einsamen Weltenbummler und die unsichtbare Klassefrau.

Ein Szenario an der Bar, reine Fiktion…

Die Klassefrau sitzt am Ende der Bar, wo es halbwegs ruhig ist und trinkt ein Glas Wein. Es scheint nicht so, als ob sie auf jemanden wartet. Sie tippt in ihren Laptop, vielleicht arbeitet sie, vielleicht chattet sie, vielleicht will sie damit nur eine Schranke aufbauen. Sie schaut nicht auf die Uhr, sie sieht sich nicht um, manchmal lächelt sie amüsiert, sie trägt eine schmale schwarze Hose und eine legere weiße Bluse, alles zusammen nicht besonders aufreizend und natürlich ist sie irgendwie hübsch, stellen wir uns das halt mal vor.

Aus dem Augenwinkel sieht sie einen Mann, der langsam, aber keineswegs unsicher den Raum betritt und sich vorsichtig einen Überblick verschafft. Der Platzwahl misst er keine große Bedeutung bei, nur scheinbar, und entschließt sich für einen Ort, der ihn nicht in das Zentrum der Bedrohung eines unmittelbaren Gespräches rückt. Es ist die andere Seite der Bar. Der Platz gibt ihm jedenfalls die Möglichkeit, schnell zu entscheiden, ob er ein sich allenfalls ergebendes Gespräch ein oder zwei oder auch drei Gläser lang führt, oder sich bei Bedarf schnell entfernen können möchte. Er wirkt so, als ob er die Situation in Hotelbars souverän im Griff hat, fühlt sich zu Hause, ohne auf der Suche nach etwas Bestimmten zu sein. Seine Bestellung gibt er freundlich auf, leise, mit einer Stimme, die dennoch im Ohr hängen bleibt. Man könnte sie beschreiben, in Worte fassen, sie ist bestimmt und man könnte sich vorstellen, dass ein Gespräch mit dieser Stimme nicht so schnell unangenehm wird. Sie klingt kultiviert und ist es gewöhnt einen Drink zu bestellen. Der Mann ist durchschnittlich groß, legt Wert auf sein Äußeres, sein Alter ist schwer einzuschätzen, hat weißes Haar und strahlt eine ruhige Unruhe aus. Er erfasst seine Umgebung, interessiert sich peripher für die Leute um sich, ordnet sie blitzschnell ein, hängt eine Zeit in Ruhe seinen Gedanken nach. Er schaut immer wieder mal auf sein Handy, liest die eine oder andere Nachricht, ein kleines Lächeln lässt die Augen aufblitzen, wahrscheinlich was Nettes. Die Regung macht ihn sympathisch. Ein kurzer Moment, in dem die Falten um die Augen davon erzählen, dass er gerne lacht, aber nicht mehr zu oft, bevor sich wieder eine angestrengte Nachdenklichkeit über den kritischen Blick senkt.

Als sein Drink kommt, dankt er freundlich, hat noch ein nettes Wort auf den Lippen für den Barkeeper. Ein paar Sätze, ein langer Small Talk wird es nicht.

Während ein anderer Typ, der nicht unweit entfernt sitzt, schon die ganze Zeit laut darüber nachdenkt, wie er die Dame auf ein Getränk einladen könnte, sie ist ja alleine und nicht unhübsch, genießt der Mann die Ruhe des Augenblicks und ihre Augen treffen sich. Er nimmt sie wahr, nicht vordergründig interessiert, und der Blick bleibt nicht hängen. Eine Sekunde länger vielleicht als an einer langbeinigen Blondine mit großem Busen und kurzem Rock, die man sich nicht als seinen Typ vorstellen würde, doch was weiß man schon, aber eben auch nicht lange genug, um zu meinen, er wäre hier auf der Suche nach Gesellschaft. Er sieht die Frau an wie ein Gemälde. Abstrakt. Er nimmt die Züge ihres Gesichtes wahr, er klassifiziert nach Alte Meister, Moderne oder Surrealismus, aber es ist keine Überlegung zu erkennen, ein paar Meter näher zu rücken.

Wenn er etwas in sein Handy oder Netbook (oder was er eben bei sich hat) tippt, ist er ernst und konzentriert, die Brille auf der Nase, über die der Blick manchesmal ziellos durch das Lokal schweift, die Stirn gerunzelt. Von allen hier Anwesenden strahlt er etwas aus, das vertrauenserweckend und gleichzeitig unberührbar wirkt. Eine gar nicht unsicher wirkende Unsicherheit, die nichts verbergen will und dabei nichts von sich preisgibt. Während die Frau ihn über den Rand ihres Laptops ansieht, und überlegt, was ihn wohl hierhergeführt hat, kann sie sich des Eindrucks nicht erwehren, er hätte gerade versucht, sie einzuordnen, doch der sich schnell abwendende Blick ist geübt darin sich bei der Betrachtung nicht erwischen lassen. Das wäre ihm unangenehm. Nach dem gefühlt vierten oder fünften Mal ist sie überzeugt, sich die versteckte Aufmerksamkeit nur eingebildet zu haben.

Dass er offenkundig nicht auf der Suche nach Gesellschaft ist, macht ihn ebenso unberechenbar wie interessant, er scheint es gewohnt zu sein, auf Menschen zuzugehen, aber nicht unbedingt in diesem Rahmen. Seine Haltung ist gerade, nicht ablehnend, aber reserviert. Würde sie ihn ansprechen, so ihre Überlegung, weil sie gerade keine anderen Überlegungen im Sinn hat, der Chat lahm vor sich hin tröpfelt, und sie sich mit einem Gedanken zu ihrem Wein befassen muss, wäre er unverbindlich, freundlich, ausweichend, würde ihr vorauseilend eine Absicht unterstellen, ohne sich sicher zu sein welche und ohne sich das deutlich anmerken zu lassen. Sein Gesichtsausdruck lässt ein vorsichtiges Misstrauen erkennen. Manchmal bewegt ihn etwas, das ihn die Hand durch das Haar fahren und unbewusst eine von der ganzen Welt befremdete Mimik vollführen lässt und ein melancholischer Zug umspielt die meiste Zeit seinen Mund. Ihn in ein Gespräch zu verwickeln, scheint ihr ein aussichtsloses Unterfangen. Der Gedanke irritiert sie, weil sie es eigentlich überhaupt nicht darauf angelegt hat, hier irgendjemanden in ein Gespräch zu verwickeln, ganz im Gegenteil, sie schätzt selbst die Ruhe und nicht einfach out of the blue von einem Fremden angesprochen zu werden.

Als er aufsteht und geht, sieht er nochmals zu ihr hinüber. Dabei ist sie unschlüssig, ob er ihr zum Abschied kurz zugenickt hat, nur eine höfliche Geste an einen ebenfalls zufälligen Gast, oder ob sie sich das eingebildet hat. Dieser letzte Blick war offen und nicht fragend. Er verlässt den Raum mit einem schnelleren Schritt als er ihn betreten hat, entschlossen sich nicht aufhalten zu lassen. Etwas an ihm war anders, erinnert sie vielleicht an eine Situation in einem Café vor vielen Jahren, die ähnlich war, und ohne genau zu wissen warum, beschließt sie, ihm einen Drink schicken zu lassen. Weil die Aura der manifesten Verschlossenheit im krassen Gegensatz zu den lächelnden Augen sie neugierig gemacht, ja, angezogen hat. Weil er nicht verheiratet wirkt. Weil sie seine ungewollt einnehmende Art, seinen sprechenden Blick, seine in Gedanken zu sich selbst in winzigkleinen Andeutungen gestikulierenden Hände mag, die Art, wie er sich zurückhält und doch Offenheit ausstrahlt. Sie ist sich sicher, dass er nicht zurückkommen wird. Sein Blick war nicht der eines Jägers auf der Suche nach einer leichten Beute. Vielleicht überlegt er es sich ja noch, wenn er auf seinem Zimmer ist, und sich fragt, ob sie es war, die ihn auf einen weiteren Drink eingeladen hat, vielleicht nimmt er sich ein Herz, und erzählt von seiner Reise. Von der Reise, auf der er in seinem Inneren unterwegs ist.

Natürlich hat sie recht behalten, und obwohl die Neugier fast gewonnen hätte, er fast über den Schatten gesprungen wäre, lässt er es doch sein. Er liegt zwar in seinem Bett und denkt noch eine Zeit lang nach, über die Klassefrau, nur wozu? Also lässt er den Drink sausen. Sie trägt es ihm nicht nach, alles andere hätte jenen anziehenden Eindruck, der sie zu dieser spontanen Einladung bewogen hat, zerstört. Umso mehr tut es ihr leid, denn es bestätigt ihr, dass sie ihn richtig eingeschätzt hat, das gesehen hat, was er so vehement im Unsichtbaren verborgen hält.

Ein Szenario an der Bar, reine Fiktion. Oder doch ein Körnchen Wahrheit?

Reine Erfindung, Rosamunde Pilcher ganz kleinformatiges Kopfkino, Prosa, ein klitzekleiner Ausschnitt eines großen Buches (© Lili Bach).

Nun ja, nicht ausschließlich, denn ein avocadokerngroßes Stück Wahrheit umfasst jene Szene, in welcher in jenem Hotel mitten im Charles de Gaulles Airport vor zwei Jahren ein zierliches Mädchen vom Room Service mit einem Gin Tonic an der Zimmertür eines müden Reisenden klopft, der über die Aufwartung ziemlich verwirrt ist. Dazu kommt ihr schreckliches Französisch, sie ist Portugiesin. [if !supportLineBreakNewLine] [endif]

Jedenfalls versteht er, dass eine Dame ihn auf diesen Drink einladen will. Das hat er dann dankend abgelehnt. Später ist er immer mehr verwirrt und neugierig und ruft bei der Rezeption an, worauf er aus dem Gestammel wiederum nicht schlau wird. Was er absolut nicht verstehen kann, ist, wie die offensichtliche Klassefrau, die in ihm gesehen hatte, was er für unsichtbar hielt, seinen Namen und die Zimmernummer kennen konnte. Fast ist er versucht an die Bar hinunter zu gehen. Fast.

Als der Reisende am nächsten Tag durch ein Entschuldigungsschreiben des Hotels für die nächtliche Störung erfährt, dass die Spenderin des Gin Tonic am vergangenen Abend ebenfalls in einem Hotel, allerdings in Italien, saß, wie dankt er da seinem Schöpfer sich vor der kleinen Portugiesin und vor allem vor sich (und der Teilzeit-Italienerin) nicht komplett zum Affen gemacht zu haben und nicht frisch geduscht und verführerisch duftend in der Bar von einer zur nächsten gegangen zu sein, grinsend den Drink in der Hand und wissend zwinkernd.

Ach ja, bleibt nur noch die Frage offen, wo jene unsichtbare Klassefrau an besagtem Abend tatsächlich war, wenn nicht in der Hotelbar in Paris, wohin sie einem Unbekannten einen Gin Tonic bestellt hatte. Nun, sie sitzt, wie schon gesagt, ebenfalls in einem Hotel, hat auf der Terrasse tatsächlich ihren Laptop aufgeschlagen und denkt über Jane Austen und Männer in Hotelbars nach, dazu einen Aperol bestellt.

Als sie den zweiten Schluck nimmt, kommt die bucklige Bardame, sieht sie verschwörerisch an – so freundlich war sie noch selten – und erklärt ihr, dass der Aperol auf den Ragazzo in dentro al banco geht. Die Klassefrau sieht sie verständnislos an und die Bucklige macht vieldeutige Augenaufschläge und grinst. Das macht sie dann eine halbe Stunde lang, jedes Mal, wenn sie an ihrem Tisch vorbeigeht. Eigentlich andauernd, obwohl sie sich sonst kaum blicken lässt. Sie dankt Gott, dass der Ragazzo drinnen an der Bar ist und den Aperol nicht als Einstieg in ein Gespräch zu nutzen vorhat. Dann kann die Kupplerin – sie heißt übrigens Donabella und die Namensinschrift bedeckt in riesigen Gothic Lettern ihren gesamten Arm – sich nicht mehr beherrschen, zieht einen zumindest fünfzehn Jahre jüngeren Italiener in zerschlissenen Jeans im Schlepptau auf die Terrasse, dem das spürbar unangenehm ist, aber Donabella hat eine himmlische Freude und kommt aus irren Augenaufschlägen und hyperventilierendem Zwinkern gar nicht mehr raus. Der Ragazzo reicht die Hand, die Klassefrau sagt artig Grazie, was soll sie sonst sagen, und während er auf Italienisch – leider versteht sie jedes Wort – sich für die Aufdringlichkeit entschuldigt, seinen Namen nennt, den sie in der Sekunde wieder vergessen hat, dabei nervös von einem Bein aufs andere tritt, dreimal ihre Augen erwähnt und bedauert, dass er leider nicht Deutsch und auch nicht Englisch spricht, dankt sie Gott nochmals, stammelt etwas in gebrochenerem Italienisch, als sie es tatsächlich beherrscht, oh no, che peccato, solo un po‘… und lässt mit ihren Augen durchklingen, dass die Dinge in ihrem Laptop keinen Aufschub dulden. Donabella steht derweil am Ausgang zur Terrasse und überwacht die Situation, ihre herumgestikulierenden Augenbrauen kriegen sich nicht mehr ein. Die Konstellation fühlt sich so schräg an wie in ‚From Dusk till Dawn‘, irgendwer wird jeden Moment zu einem Vampir werden.

Der Italiener winkt noch idiotisch grinsend im sich rückwärts taumelnden Entfernen, wobei die Klassefrau fürchtet, er könnte ihr als finalverzweifeltes Hoffnungssignal noch einen Aperol hinterlassen, doch das erspart ihr der Ragazzo dankenswerterweise, und sie kann weiterschreiben, an ihrem Brief über Alain de Botton (der als Schweizer manchmal sehr ungeduldig geworden ist mit dem Appetit der Menschen dort, Smalltalk zu führen), Perfektionsneurosen, Gefühlsskeptiker und die Frage nach Ängsten. Wer zielt bei einer ersten Begegnung im Barflys-Universum schon ins Zentrum des menschlichen Daseins und fragt zum Gesprächseinstieg: „Wovor hast du Angst im Moment?“ Die wenigsten Menschen wollen etwas von den Ängsten anderer wissen, sie wollen lieber den Smalltalk führen. Den kann man einfach und unkompliziert beenden, solange man nichts über die Ängste erfahren hat. Wie an jeder Bar, man zahlt den letzten Drink und geht.

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