Faltenfrei

„Wow, welcher Schönheitsgott hat dieses Botoxmeisterstück vollbracht?“ quiekte L. und blickte knollenblätterpilzgrün vor Neid mit eingelaufenem Dackelblick in meine glatte Augenpartie. „Bist Du noch zu retten?“, entrüstete ich mich ehrlich, „das sind allein Mutters Gene“. Und meine alte Dame ist noch mit achtzig plus Jährchen frisch und konkurrenzfähig. „Ich hätte meinen garantiert echten Arsch darauf verwettet und einen Eid auf ewige Treue schwören können, Du hast nachbessern lassen“, war L. enttäuscht, „bei mir ist es jetzt die dritte Sitzung bei Dr. W. Er vollbringt wahre Wunder!“. L. sah zumindest so alt aus wie das siebte oder achte Weltwunder. Die lebenswandelbedingten Risse der Zeit konnte selbst Dr. W. nicht zum Erstarren bringen. Jedenfalls entging mir der fundamentale Kontrast zwischen L. vor und nach Botox zum Quadrat. Dr. W. war mir in erster Linie aus der Klatschpresse bekannt, und von einer kurzweiligen Begegnung vor einigen Jahren.
Es war ein sonniger Herbsttag anlässlich der Lese im Weingarten eines Freundes. Ein als Teilzeitwinzer verkleideter Konzernchef verrichtete seine Notdurft vor der Eingangstüre des Nachbarhauses, das verlassen und im Baustadium als Freiluftpissoir durchging. Mitten im dringenden Geschäft öffnete sich wie von Geisterhand die Türe und der stolze Neohausherr Dr. W. stand dem Pinkelmann von Angesicht zu entblößter Männlichkeit gegenüber. Die beiden Herren tauschten eine paar Höflichkeiten und Visitkarten aus. Man weiß ja nie, ist die dem Konzernoberhaupt Angetraute eben nicht mehr ganz taufrisch, kann so ein Faltendoktor das Verlangen nach einer jugendlichen Sekretärinnenmaus vielleicht noch ein paar Momente in der Ewigkeit hinauszögern. Dr. W.‘s damals gerade frisch vermählte Braut war einst ein Aushängeschild seiner Schnittkunst, obwohl die Lippen den Rahmen ihres ehemals süßen Antlitzes mittlerweile sprengten und mehr einem aufblasbaren Rettungsboot der Titanic ähnelten als einem Werkzeug zur Nahrungsaufnahme. Der Rest gruppierte sich als Fratze um schlitzartige Augen, die unter den zu hoch geratenen Backenknochenimplantaten kaum noch herausgucken konnten. Das plastische Kuriosum soll schon kurz nach Fertigstellung der Baustelle den Palast alleine mit Muttern bewohnt haben, weil Dottore das Zeugnis seines Versagens nicht mehr mitansehen konnte. Egal. Ich kann meinen Argwohn gegen über das Färben von Wimpern und Augenbrauen hinausgehende Schönheitsnachhilfe wohl nicht gut verbergen…
Anderntags Elternabend im Kindergarten. Im Anschluss stand ich mit einem Haufen schnatternder Hausfrauenmütter am Gehsteig rum und musste schockiert erfahren, dass sogar diese biederen Weiber Jüngerinnen des Silikonimplanteurs waren. Ungeniert toppten sich die von genereller Unscheinbarkeit gezeichneten Mamis mit Pop-up Eutern und Fettabsaugungen. Wohl mehr eine Schwartenumverteilung, dachte ich bei mir, ich konnte jedenfalls noch schwimmreifengroße Fettpölster und Reiterhosen erkennen oder waren die vorher eine monströse Altölentsorgungsstätte einer Thunfischfabrik? Man kommt sich total unvollkommen vor, wenn man seinen Luxuskörper vernachlässigt, ganz und gar unbehandelt ist und thematisch nichts beitragen kann. Wo ich denn machen lasse, wollten die künstlichen Sexbomben erfahren. „Wisst ihr, ich bin naturschlank, kann futtern, was ich will und treibe absolut keinen Sport“, gurrte ich mit Verona Pooth Akzent, „aber mein Fitnesstrainer ist so was von potent, der kann stundenlang und hält mich in Höchstform. Aber verratet meinen Spermajungbrunnen bloß nicht dem aktuell in der Lebensabschnittspartneranwärterschleife zappelnden Oligarchen. Der glaubt nämlich, ich gehe einmal pro Woche zu Dr. W. und mit dem Geld, das er dafür springen lässt, bezahle ich den Fitnessboy und das Stundenhotel“. Während die Biederfrauen am Rande einer Ohnmacht dahinröchelten, fühlte ich mich in meinem kindischen Zynismus so faltenfrei wie mit siebzehn.