Wenn der Wind sich dreht
Eigentlich schreibe ich keine Rezensionen. Schon gar nicht auf Anfrage. Die charmante Cornelia Pichler ließ mir dennoch ein Exemplar von ihrem Verlag schicken. Ich hatte keine große Hoffnung. Jungautorin. Erstlingswerk. Liebesroman. So wohnte „Wenn der Wind sich dreht“ wochenlang unbeachtet auf meinem Nachttisch. Ich fürchtete in ein Abziehbild einer Welt irgendwo zwischen Cecelia Ahern und Rosamunde Pilcher gesogen zu werden, wo der Wussow Clan inmitten von Ziegen und Telefonzellen durch Griechenland stolpert.
Eine der Lehren, die ich aus dem Buch mitgenommen habe: Fehler – wenn es denn welche sein sollten und nicht in der Tat Bereicherungen des Erfahrungsschatzes – existieren nur in der Vergangenheitsform und nie in der Möglichkeitsform. Etwas kann sich nachträglich als Fehler erweisen oder es kann ein Fehler gewesen sein, etwas nicht getan zu haben, aber niemals könnte es möglicherweise ein Fehler sein. Jedenfalls war es ein Fehler, das Buch voreingenommen zu schubladisieren. Kein Fehler war es, den wunderbaren Roman im Urlaub zu lesen!
Nun sitze ich hier bei einem Glas Moët und schaue auf das Meer. Meine Gedanken sind nach Griechenland abgeschweift, wo sie sich vor langer Zeit verfangen haben. Es macht sich ein Wind auf und die Wellen werden ungestümer. Das Buch auf dem Tisch vor mir habe ich ausgelesen. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage. Auch beim abermaligen Lesen habe ich mich darin in einer Weise wieder gefunden, die mich immer wieder zum Lächeln gebracht und mir an manchen Stellen eine Träne abverlangt hat. Und ich spreche nicht von Pilcher Tränen, sondern von Glattauer Tränen. „Gut gegen Nordwind“ war das letzte Buch, mit welchem ich mich subjektiv dermaßen intensiv identifizieren konnte wie mit diesem. Ein leichtfüßiger spritziger, scharfzüngiger, tiefsinniger Dialog der Protagonisten, ein Schlagabtausch zwischen Angriff und Verständnis, der Funken schlägt und eine emotionsgeladene Atmosphäre erzeugt, die ich jeder Frau wünsche schon einmal am eigenen Leib verspürt zu haben.
Wie weit gehen wir für die große Liebe unseres Lebens? Auf jeden Fall bis nach Griechenland. Und noch weiter – wenn es der Wind zulässt.
Josefine Schneider reist zum Begräbnis ihrer Tante Lisa nach Rhodos und verbringt den Sommer ohne ihren Mann Robert und ihre Tochter Sam auf der griechischen Insel. Wie ein Meteorit schlägt Jo in das griechische Dorfleben ein. Der Aufenthalt beschert Jo nicht nur einen neuen Blickwinkel auf sich selbst, sondern auch die schicksalhafte Bekanntschaft mit einem unmoralischen Fremden, der sie bei ihren zufälligen und absichtlichen Begegnungen völlig aus der Fassung bringt.
Ihren Mann liebt Jo schon so lange, dass sie sich nicht mehr erinnern kann, warum sie ihn liebt. Mit Entsetzen erkennt Jo im Spiegel ihrer griechischen Familie, dass sie sich viel zu lange schon unbewusst verstellt, um es ihrer österreichischen Familie recht zu machen, so dass sie gar nicht mehr weiß, wie sie wirklich ist. Immer deutlicher wird ihr klar, wie einsam und verloren sie ist, wie sehr sie ihre Freiheit auf Rhodos genießt. Sie hat ihr Selbst aufgegeben und vergessen, wer sie eigentlich ist, hat keine Ahnung, wo sie hin will und noch weniger wüsste sie, wie sie es bewerkstelligen sollte. Die Insel, die lebensfrohen Menschen und gerade jener fremde Mann, der ihre Gedanken nicht mehr loslässt, führen Jo vor Augen, dass es nicht mehr ihr Mann ist, der ihr Blut in Wallung bringt. Robert ist nicht ihr Jack Dawson. Vermutlich war er es nie.
Jo lässt sich auf ihre Gefühle und auf Marco ein. Im Wissen, dass sie nicht gut ist im Entlieben und er ein freies Leben ohne Pflichten und Einschränkungen führt. Hat Jo das Recht auf ihr tiefempfundenes Glück, oder bleibt ihre Liebe eine unerfüllte Sehnsucht? Sehnsüchte, so meint eine Freundin, sind unsere Möglichkeiten und auf ihre Frage, warum sie sich auf eine aussichtslose Geschichte einlassen sollte, antwortet ebendiese: „Weil ich noch immer an Märchen glaube.“ Ja, danke!
Jo und Marco prallen wie zwei Urgewalten in der Mitte des Lebens aufeinander und finden eine Liebe, mit der keiner der beiden gerechnet hätte. Mit dieser Herausforderung könnten sie unterschiedlicher nicht umgehen. Während Jo sich innerlich immer weiter von ihren Wurzeln entfernt, scheint Marco für diesen Schritt nicht die Verantwortung übernehmen und auf seine Flügel der Freiheit verzichten zu wollen. „Ist es denn so schwer, mich zu lieben?“, will Jo von Marco wissen. „Im Gegenteil, es ist so einfach dich zu lieben, dass es mir Angst macht.“, ist seine Antwort. Leider ist Liebe manchmal nicht genug, um einen großen Schritt zu machen. Ist Marco der Richtige? Wer weiß das schon. Er fühlt sich einzigartig richtig an und Jo ist sich sicher: er ist es wert. Aber noch viel wichtiger: sie ist es sich wert. Doch findet Jo die Kraft loszulassen für eine Liebe, die es wert sein könnte, dafür alle Schuldgefühle, alle Ängste und alle Moralbedenken hinter sich zu lassen? Ob der Wind sich dreht und die Dinge, die er davonweht, wieder zurück bringt… überlasse ich den geneigten Lesern herauszufinden ;-)
Fazit: Eine unbeschwerte Hommage an den Mut zum Abenteuer, eine bezaubernd witzige, schöne und zugleich schmerzliche Liebesgeschichte eines intensiven Sommers, die die Hoffnung schürt, dass Cornelia Pichler „Alle sieben Wellen“ auf Griechisch nachschießt!