To date or not to date

Daten oder nicht daten – das ist nicht die Frage. Jedenfalls habe ich mich mit der Frage nicht auseinandergesetzt, bis ich über einen surreal witzigen Text der bloggenden Kollegin Ronja gestolpert bin, die ihre Leser selbstlos mit 10 Tipps gegen Schüchternheit beim ersten Treffen versorgt. Und ehrlich, irgendwie sind wir doch alle mehr oder weniger schüchtern – was durchaus sexy sein kann. Solange man es nicht übertreibt. Obwohl: eine Lanze muss ich an der Stelle für den Tipp brechen, sich so lange mit hartem Zeug zu betrinken, dass man es gar nicht erst zum Treffen schafft. Das wiederholt man so lange, bis der datewillige Mann genug von der Unzuverlässigkeit hat und der Frau ein Alkoholproblem unterstellt. Brauchen wir solche Typen, die mit Anschuldigungen um sich werfen, noch bevor man sich getroffen hat? Singles haben zwar nicht viele Optionen, aber nein, das sicher nicht.
Nachdem mein letztes Blind Date – genaugenommen mein letztes Date überhaupt – schon der geriatrischen Gnade des Vergessens anheimgefallen ist, dachte ich, ich sollte mich wenigsten schriftlich wieder einmal dem generell zwar überbewerteten, aber doch lustvoll inspirierenden Freizeitvergnügen von zwischengeschlechtlichen Verabredungen widmen. In einem unbedachten Nebensatz erwähnte ich das bei der Intro auf Facebook zu einem meiner letzten Blogs. Konkret: „Konnte mich nicht zwischen dem YouTube Problem und dem Dating Dilemma entscheiden. Nachdem kein Date in Aussicht ist, hat der YouTube Blog gewonnen.“ So seicht und unbeschwert dahingeplappert, hatte ich keine Vorstellung, welche wortreichen Kavaliersdelikte dies in meiner männlichen Leserschaft auslösen würde.
An dieser Stelle zur Selbstwertgefühlsrettung an alle: Das war kein Speeddatingwettbewerb mit einem Sieger. Ich habe keinem geantwortet. Blöder Fehler hin oder gute Entscheidung her, frage ich mich, woran das liegen mag. Die Auswahl der moralischen und unmoralischen Angebote war exorbitant. Mein Schweigen hat nichts mit mangelnder physischer Prachtentfaltung der potentiellen Dater zu tun. Im Portfolio Pfundskerle im Calvin Klein Format mit und ohne Unterhose verteilt über alle Altersgruppen. Im Wording von platt über witzig bis bewusstseinserweiternd alles dabei. But, sorry Guys. Das war kein verzweifelter Hilfeschrei nach Liebe. Und nachdem ich keine der gängigen Single Plattformen frequentiere, bin ich schon gar keine Freundin solcher Frontalbegegnungszonen. Weder auf love.at noch auf meiner Facebook Seite. In Sachen Liebe erlaube ich mir noch so hoffnungslos romantisch zu sein, zu glauben, dass meine Dualseele mich findet, und zwar garantiert nicht bei Parship.
Abgesehen davon und ganz generell muss die schüchternheit- und neuroseerregende Frage „Just coffee or call it a date?“ hyperdringend dehysterisiert werden. Man verabredet sich doch nicht vor hormonell vorauseilender Glückseligkeit taumelnd in der Annahme, in den nächsten Stunden den Menschen für den Rest des Lebens zu beschnuppern und hat dazu abschlussorientiert die Zahnbürste im Handgepäck, die fortan und für immer in seiner / ihrer Bleibe wohnt. Also wirklich, bleibt doch alle mal mit beiden Beinen am Boden! Selbst bin ich nicht up-to-date, was sich in den diversen Single-Bazaren abspielt, jedoch wird mir die gruselige Realität der handelsüblichen Forenmänner schonungslos in schamhaarkleinen E-Mail-Berichten von Freundin S. serviert, die sich nun schon ein Jahr lang durch alle glücksverheißenden Single-Second-Hand-Börsen (ein weites Land voller Verzweiflungstäter mit manifesten Meisen und posttraumatischen Beziehungsstörungen) gedatet hat mit dem einzigen Hurraerlebnis, dass immerhin eine harmlos platonische Bekanntschaft hängengeblieben ist, die völlig ohne Hintergedanken einspringt, wenn S. zum Zahnarzt muss und jemanden braucht, der sie dorthin chauffiert, durch das Wartezimmer in die Ordination hinein tritt und verhindert, dass S. laut schreiend die Flucht ergreift, bevor der Doktor seine Arbeit verrichten kann. Oder eben mal Weihnachten mit ihr feiert, einfach so. Und da sind wir leider bei der traurigen Quintessenz des Datens von Netzbekanntschaften angelangt: einfach nur so, anspruchs- und erwartungslos, setzt heute keiner mehr einen Fuß vor die Tür. Für jeden Schritt muss es ein Ziel geben. Alles muss vorhersehbar und kalkulierbar sein. Kein laissez-passer, keine Amour fou, kein schaumamal. Kein Zufall, kein Schicksal. Mein Gott, ist das anstrengend und langweilig gleichermaßen. Der schleichende Tod der Romantik.
Ebenso unbedacht wie Mann sich via Single-war-gestern-morgen-sind-wir-Plattformen die übelsten Anmachsprüche als brachialwitzige Selbstverherrlichung aufs Profil ladet, ist es vermutlich ein leichtes, eine wildfremde Frau, die als Freiwild einen Blog im Internet schreibt, zu einem Date einzuladen. Einfacher für manche vielleicht, als jene Frau anzusprechen, die einem tagein, tagaus über den Weg läuft. Die Hübsche beim Billa, die Süße, die in der U-Bahn immer Musik hört, die schüchterne Kollegin aus der anderen Abteilung. Blöd nur: der müsste man ja auch noch gegenübertreten, wenn das Date ein Fiasko war. Also verharrt man in der komfortablen Unverbindlichkeit des Netzes.
Zugegeben, etwas getroffen hat mich folgende Nachricht: „Unvorstellbar, dass dich niemand daten wollte. Oder war es so, dass wieder mal keiner dein Brain 'erreichen' konnte?“
Mittelschwere Gefühlsimplosion meinerseits. Ist es das, wie ich auf Männer wirke? Scheinbar nicht mit Hirnfolgeschäden auf den Kopf gefallen, ganz nettes Gesicht, ansonsten arrogant und macht auf unerreichbar? (Übrigens das Netteste, das mir ein Schulfreund einmal sagte, als es nach jahrelangem sich-nicht-leiden-können bei einer Party plötzlich gefunkt hatte: du bist eigentlich gar nicht arrogant, sondern echt nett. Gleich gefolgt von meinem Lieblingsbarkeeper, der auf Anfrage mitteilte: mit der kannst du Pferde stehlen. So, nur damit das klar ist!) Ja, ja, ich weiß, ich würde viel akzeptabler als punschkrapfenpinkes Abziehbild einer Platin-Tussi rüberkommen mit überdreht hochgeschraubten Knackal Timbre und stets bereit, wenn Mr. Grey ruft. Ich habe auch vollstes Verständnis dafür, dass diese Art leichte Beute für die harten Jungs wesentlich attraktiver ist. Aber verdammt noch mal, ich werde vermutlich lieber alleine mit der Katze alt, als mich für blöd zu verkaufen. Unvorstellbar, oder? Zu guter Letzt noch zum netten Gesicht: das ist ein Profilfoto, hat mit mir so wenig gemeinsam wie mein Führerscheinfoto und morgens um sieben sehe ich so oder so niemals aus. Manchmal besser, manchmal schlechter, aber selten mit Make-up.
Zurück zum Anfragentsunami und der Schüchternheit und warum ich ausnahmslos keines der überwiegend recht lieben Angebote zu einem Date beantwortet habe: keines davon hat mein Herz berührt. Fragen ist nicht nur eine Angelegenheit, die es erfordert die Schüchternheit zu überwinden. Fragen ist eine Kunst.