Jeder sollte Schrullen haben
An den schnuckeligen Schrullen mancher meiner gewöhnungsbedürftigen Freundinnen hätte Salvador Dali seine Freude gehabt. S. ist frisch zurück vom Selbstfindungsseminar auf einer griechischen Insel und vermittelt eher den Eindruck sich dort geistig völlig verloren, dafür eine neue Lebenszeitattacke aufgerissen zu haben. Salbungsvoll faselt S. von Seelenverwandtschaft und großer Liebe. Meine Worst Case Szenarien zu der männlichen Seele spielen sich gedanklich zwischen weidwund beziehungsgeschädigt, volle Kanne Familie und schwul ab. Ach ja, gluckst sie hormonübersteuert, der Hansi hat da nicht lange herumgedruckst: Vater von drei kleinen Kindern samt Frau, Haus, Kredit und Oma am Dachboden. S., da hast du aber die Beine in die Hand genommen und bist dreimal um die Insel gejoggt, bitte sag mir, dass nicht passiert ist, was ich befürchte? Ach was, hat S. das Wort „ach“ scheinbar zur verzweifelten Standardsatzeinleitung ausgerufen, ich kann mich nicht um alles kümmern, es hatte wohl einen Grund, dass er in Hellas war und nicht bei der Sippschaft. Jetzt sitzt S. todunglücklich verliebt zu Hause, sagt sich siebzehn Mal an Tag, dass er bestimmt anrufen wird und 354 Tage bis zum nächsten Selbstfindungsseminar schnell vergehen. Eigentlich fällt das nicht unter schrullig, sondern in die Kategorie hirnverbrannt. Davon bin ich Gott sei Dank meilenweit entfernt. Wobei mich ab und an leise Zweifel überkommen…
Wie viele Schritte bin ich wirklich noch von verschroben und schrullig entfernt? Noch habe ich keine Sorge wie Bridget Jones einsam, alt und ungeliebt von Schäferhund aufgefressen zu werden, andererseits, weit ist es nicht mehr bis dahin. Dass ich Selbstgespräche führe, finde ich noch nicht bedenklich. Eine gesunde Diskussion mit sich selbst eröffnet oft ungeahnte Perspektiven. Gefährlich wird es erst dann, wenn die Stimmen in meinem Kopf schweigen und ich nicht weiß, was die Typen da oben gerade aushecken. Noch halte ich mich mit meinem Blog vom Rande des ganz alltäglichen Wahnsinns an einem Rockzipfel der Normalität fest, aber völlig schrullenfrei war ich vermutlich noch nie. Ach ja, ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass ich mit meinen Katzen spreche. Das ist fast so wie das Sprechen mit Pflanzen in unserer Gesellschaft als harmlose Marotte anerkannt, ohne gleich einen Therapieverordnungsschein in die Hand gedrückt zu bekommen, jedenfalls solange man die üblichen rhetorischen Fragen stellt, wie „Na, hast du schon wieder Hunger?“, oder „Bist du aber ein liebes Mietzi, oder warum schaust du so süß?“.
Allerdings ertappe ich mich mittlerweile immer öfter verstrickt in ausgefeilten Grundsatzdiskussionen mit meinem Kater. Mit dem Kater diskutiert es sich übrigens viel besser als mit der Katze. Die graue Diva schaut mich immer nur vorwurfsvoll mit großen Augen an. Als ob ich etwas ausgefressen hätte. Ich? Nie. Ach, ja gut, letztens habe ich einen wirklich dummen Fehler gemacht. Ich habe mich zu einem, wirklich nur einen schnellen 20 Minuten Drink in meinem Ex-Stammlokal überreden lassen. Wie es manchmal unvorhergesehen, gegen meinen Willen und entgegen jeder Vernunft passiert, haben sich die 20 Minuten bis zum Morgengrauen gezogen. Dann kommt man emotional angeschlagen heim, und die Katze sitzt auf der Kommode im Vorzimmer mit einer hochgezogenen Augenbraue. Gratuliere, sagt ihr strenger Blick, war das notwendig? Habe ich das notwendig, mich von dem Tier maßregeln zu lassen? Dämliches Frauenzimmer, denke ich, während ich dreimal mit dem Kopf gegen den Türstock schlage – und bin mir nicht sicher, ob ich die Katze oder mich meine. Aber wie gesagt, der Kater ist da tolerant und wir sprechen ganz unaufgeregt über meine Blödheit. Ich halte große Stücke auf ihn und seine Meinung. Er ist ein roter Fuchs, ein ziemlich schlauer Kerl, der mich erstaunlich schnell durchschaut. Die einfältige Katze denkt, eine durchgemachte Nacht in einer Bar lässt auf üble Vergehen gegen Anstand und gute Sitten schließen, und hat keine Ahnung vom Tuten und Blasen. Soll sie sich doch mal in der kalten Außenwelt schutzlos als Freigängerin versuchen und nicht faul und elegant hinterm Ofen verkriechen. Ahnungslos! Der Kater hingegen sitzt neben oder vorzugsweise auf mir, während ich in den Laptop hineinschreibe und weiß genau, dass dort die Gefahr lauert. Hast du jetzt dann mal genug geschrieben, fragt er süffisant. Lass mich bloß in Ruhe, ich schreibe was ich will, das geht dich überhaupt nichts an, fahre ich ihm über die Schnauze. Das kannst du gerne, ist mir schnuppe, aber du vergisst in letzter Zeit verdächtig oft, mich zu füttern, beschwert sich der Fettwanst. Kann nicht schaden, es ist Fastenzeit, auch für dich!
Das hat der Kater typisch männlich in die falsche Kehle gekriegt. Jetzt ist Garfield böse und schlägt wütend auf die Tastatur, wechselt dabei – er macht das absichtlich, ich bin mir sicher – vom Mail in das Skype Fenster und schickt einem abgeblitzten Ex Verehrer eine kryptische Skype Nachricht. Ich halte schockgefroren den Atem an. Nichts passiert. Doch zu früh gefreut. Nach zehn Sekunden quakt es und eine euphorische Freudenzeile über meine unerwartete Meldung (die da ungefähr lautet: fgbhjnmk,l.ö) nach Jahren der Funkstille blinkt im Chat Fenster auf. Ach Kater, du hast ja keine Ahnung, wie mühsam ich den Kerl loswerden musste, und mit einem Pfotenhieb machst du alles zunichte. Was für eine Katerstrophe. Der verschmähte Mann schreibt endlose Nachrichten. Ich ignoriere den Stift und das Gequake, tue so, als ob ich gar nicht da wäre, schleiche mich ins Badezimmer und lasse mir ein Schaumbad mit Entspannungszusatz ein. Soll doch der Schreiber seinen Monolog alleine weiter führen oder sich mit dem Kater unterhalten.
Während ich in der Wanne liege und ein Buch lese, bin ich wie immer vom Katzenvolk umzingelt. Die Katze lungert am Badewannenrand, platscht lässig mit einer Pfote im Wasser herum, während sie sich über meinen Kopf hinweg mit dem Kater unterhält. Das Personal liest Sartre, gurrt sie, haben wir Anlass zur Sorge? Ein schlechtes Zeichen, lamentiert der Kater, wir werden verhungern und alle von Schäferhunden gefressen. Ich weiß nicht, warum ich diesen beiden Oberphilosophen überhaupt zuhöre und summe beiläufig das Wort Tierschutzhaus mit der Melodie von O Tannenbaum intoniert vor mich hin. Beide starren mich hasserfüllt an. Wurde eigentlich schon einmal jemand von Katzen aufgefressen?
Eine Stunde später nehme ich mir ein Herz, um den immer noch anhaltenden Frontalangriff abzuwürgen und skype zurück: sorry, mein Kater hat sich am PC zu schaffen gemacht, war keine Absicht. Das ist ganz schlecht und wird als ein Zeichen der Hoffnung missinterpretiert. Der Ex-Möchtegern-Lover lässt sich nicht beirren und schickt sich an, einen ganzen Roman zu schreiben. Vom Küssen meiner Hände und anderer Körperteile, von Eisbärenfellen vor loderndem Kaminfeuer, von Villen in Südfrankreich mit Blick auf das Meer, von unserem gemeinsamen Leben bis in den Tod. Geh bitte in die Allee …, es ist sinnlos, liegt mir auf der Zunge, der verbliebene Rest meines damenhaften Benehmens verbietet mir, die Worte zu tippen. Der Kater und die Katze sind sich in einem einig: die Alte sollte den Romantiker erhören, wer weiß ob sie noch einmal jemanden findet, der sich erbarmt. Katzentiere, damit habe ich überhaupt kein Problem, oder soll ich mir mein Schöner-Wohnen Konzept mit einem Mann versauen, der spätestens nach den ersten fünf Sekunden der Ewigkeit mit seinem grantigem Gesicht die Aura meines Wohnzimmers verunreinigt? Die Katze grinst höhnisch: selber schuld. Halt den Rand, zische ich sie an. Der Kater unterstellt mir derweil eine Männerneurose. Wir werden das morgen ausdiskutieren. Morgen ist auch noch ein Tag.