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Liebesbrief 2.0


Liebesbrief 2.0 - Lili Bach Blog

Noch vor zwei Wochen schwärmte meine inside&out semmelblonde Freundin F. in orgiastischen Quietschlauten von der neuesten Eroberung, die ihr auf Xing zugelaufen war. Welch herzerwärmende Nachrichten der Traum von einem Mann nicht schreiben würde und keine blasse Vorstellung könnte ich mir machen, welche Frühlingsgefühle diese casanovesken Liebesbotschaften in ihrer geschundenen Frauenseele auslösen. Meine platte Nachfrage, was der Mann so im Repertoire habe, ließ wenig Hoffnung auf Inspiration und Behaltedauer aufkommen. Sein erstes schriftliches Anklopfen, ob sich F. vom Olymp zu einem Treffen herablassen würde oder er sie weiterhin aus der digitalen Ferne anstarren müsse, war zwar mittelmäßig bedenklich, doch noch lange nicht der schriftliche Tiefpunkt.

Bei unserer Girls Night stochert F. nun lustlos in ihrem Salat herum und kippt das dritte Glas Champagner in Serie. „Ich mag nicht mehr“, seufzt F., „ich hab es einfach satt.“ Eine üble Geschichte aus ihrem Männerzirkus ahnend, ziehe ich ihr aus der frischoperierten Nase, wo der Stiletto drückt. „Diese leeren Kilometer auf dem Liebeshighway, ich mag nicht mehr immerschön durch’s Leben stöckeln und alles was ich an Mann abbekomme, ist eine misslungene Kreuzung zwischen nach psychotherapeutischer Fehldiagnose aus der Anstalt für Geisteskranke Entlassener und perversen Egomanen, die meinen, Lustobjekt wäre mein zweiter Vorname.“

Daher weht der Nordwind. Nachdem F. beim ersten Date mit dem Xingianer den Kardinalsfehler beging, einen Querschnitt ihrer mannigfaltigen Erfahrungen der letzten Singlejahre offenzulegen, wogegen sich die sexuelle Revolution der 70er wie ein gelebtes Keuschheitsgelübde eines ganzen Schwesternordens im Gedankenspielraum einpendelt, wurde sein Tonfall im Jagdfieber auf eine ausgemacht leichte Beute unterirdisch. Von Natur aus nicht oscarverdächtig mit Witz zum Niederbrechen und Charme eines Cary Grant gesegnet sendet Tobias seitdem das erste SMS des Tages zu Mittag im Grundtenor: „Komm vorbei und mach die Beine breit.“ F. fragt zurück: „Cafe?“ „Leider Baby, geht sich nicht aus, könnte aber auf ein Fluchtachterl mit anschließendem Frühstück reinrauschen.“ Themaverfehlung! Oder wie F. es in schmucklosem Gemeindebaudeutsch ausdrückt: „Wenn a Oide was wert ist, muss sich ein Mann bemühen. Ich bin genervt, gestresst, hab drei Jobs, sitz tagein tagaus beim Schöner Leben Coach und der fragt mich ernsthaft, was ist mit - du weißt schon - das f-Wort? Geht’s noch?“, bremst sich F. ungewohnt wortkeusch gen Ende des Satzes ein. Nach dem dritten Glas knausert sie üblicherweise nicht mit weitaus expliziteren Klartermini, die selbst Dolly Buster verschämt erröten lassen würden, doch scheinbar möchte sie die bereits unruhig an den Nebentischen herumwetzenden Männer in einem Anfall von Gnade nicht weiter mit einschlägigen Details anspornen. Nein danke, Männerwelt, wir hätten es gerne eine Nuance altmodischer und erwarten ein Mindestmaß an handelsüblichen Gepflogenheiten. Um zu unterstreichen, dass Würde in intimen Konversationen nicht zwangsläufig zum Konjunktiv verkommen muss, kapere ich ihr Handy und texte dem Macho unmissverständliche Abschiedsworte zurück: „Ich muss dich leider aus meinem Mobilspeicher ausscheiden. Zur Erweiterung deines Repertoires kann ich dir einen Töpferkurs in angewandter Romantik empfehlen.“

F. will protestieren, ergibt sich jedoch meinem strengen Anstandsdamenblick, doziert durch die nächste Champagnerrunde beflügelt über ihren inneren Wert und gelobt analoge wie digitale Unerreichbarkeit für Männer mit mangelndem Fingerspitzengefühl an den Tasten. Kaum hat sie den Satz zu Ende gelallt, piept ihr Handy und versonnen lächelnd stiert sie auf eine neue Message. Zu früh gefreut. „Schreibt der noch immer?“ „Ach nein“, gluckst F., „das ist Hansi, er ist Barkeeper und servierte mir vor zwei Tagen nach der Sperrstunde einen letzten Absacker.“ Aha. Noch so ein Geisteskind, fürchte ich, „Und in welchem Akt befindet sich das Hansi Drama?“ „So im Mittelstadium etwa“, stolpert F. drei Schritte zurück im Blondinnenreifungsprozess, „so sagt man doch theatralisch korrekt, oder? Egal, er schreibt so so so süße Briefchen.“ „Er schreibt Briefe?“, war ich perplex und fast ein wenig neidisch, „Auf Büttenpapier oder wenigsten auf Klopapier oder zeitgemäß per Mail in Glattauerqualität?“ „Geh bitte, Lili, wo lebst du? Er kritzelte seine Nummer auf einen Bierdeckel, ich läutete über die Theke zurück und seitdem schickt er Tonnen von WhatsApp Nachrichten“. Aha. Scheinbar lebe ich als Astralleib von Jane Austen in einem Paralleluniversum. „Und in 40 Jahren sitzt du am Dachboden und versuchst in einem Anfall von Alterssentimentalität dein vorsintflutliches Handy anzuwerfen oder wäre dann eine Sammlung von Briefen aus einer Schachtel mit rosa Seidenschleife drum herum nicht ein paar Millimeter näher an Kaminfeuerromantik?“, versuche ich F. auf Schiene zu bringen. „Herrgott, lass mich mit deinem Romantikscheiß in Ruhe“, keift F. zurück, „kein Schwein schreibt heute mehr Liebesbriefe.“ Auf meine Frage, was Mr. Hans Darcy da so an Wortspenden anbietet, kommt aus der stolzgeschwellten Brust einer WhatsApp-Liebesnachricht-Empfängerin: „Na so was wie: Meine Angebetete, ich kann es nicht erwarten, dir bei unserem nächsten Treffen hautnah zu kommen.“ Aha zum Quadrat! Mit dem wäre ich nicht gerne allein, denke ich, und der Gedanke erinnert mich frappant an eine burleske Aufführung mit Otto Schenk in den Kammerspielen. „Und unter diesem pubertären Gestammel versteht du sich bemühen? Meine Liebe, unterbrechen wir für eine kurze Nachhilfestunde in Sachen Liebesbriefe. Unter diesem Kommando hier wirst du an eine Antwort künftig nicht einmal mehr im verzweifeltsten Fiebertraum denken“, beschwor ich sie und notierte in geschwungener Schrift auf eine Serviette: Ma Chérie, was für ein außergewöhnliches Glück, dass ich dir begegnet bin. Zwei lange Tage ohne dich, und es sind erst die ersten… und alles was ich vermag, ist an dich zu denken. Ich sehe dich diese Nachricht lesen. So gerne wäre ich jener, der es wagen darf, dich zu lieben! Und ich möchte etwas sicherer sein, als ich es verdiene. Ich küsse dich, als hätte ich es schon verdient…

F. liest den Text dreimal, weint eine bittere Träne in ihren Schampusglas und in ihrer Frage, „Wem bitte fällt so etwas ein?“, schwingt ein Hauch Sehnsucht der Beauvoir mit. „Ach, bloß jemandem, der das mal seiner Zukünftigen schrieb.“ F. springt tatsächlich auf den Jargon an, irgendwo in ihr wohnt offenbar eine verkappte Träumerin: „Und wo lebt er, hat er sie geheiratet oder ist er noch oder schon wieder Single, kann ich seine Nummer haben?“ Zum Verzweifeln! „F.! Er ist tot. Seit bald 50 Jahren.“ F. schaut mich an wie eine schwarze Witwe, die das ihr zustehende Opfer erlegt hat, und will wissen, woher sie heutzutage einen gutaussehenden Gelegenheitsdichter nehmen soll, der noch am Leben ist. Immerhin. Sie scheint lernfähig und erziehbar. Es besteht noch Hoffnung, dass die Frau zur Vernunft kommt und nicht am laufenden Band auf den Erstbesten reinfällt, der auf irgendeinem 2.0 Kanal eine sinnentleerte Worthülse fallen lässt. „Vielleicht kann sich der Barmann noch steigern und bringt so was wie „Je t´aime de toutes les façons que tu peux souhaiter, mon cher amour.“ über die Rampe, lass mal sehen“, heuchle ich innerlich hoffnungslos Trost. Mit honigkuchenpferdstrahlendem Gesicht hält sie mir erwartungsvoll das Display mit Hansis kabarettreifem Text unter die Nase: „Hey Schatzi, du fesche Maus, wie wär‘s mit einem Drink plus Verlängerung? Kann‘s nicht erwarten dich..., schmacht, Hansi.“ Meine Entscheidung zwischen vor Lachen oder aus Verzweiflung zu weinen fällt schwer, und weicht einem Betretenen: „Und wo willst du dir den Schmus einrahmen und aufhängen? Im Keller oder spendest es gleich der Tschauner Bühne als Toilettendeko?“ Ihr beleidigter Gesichtsausdruck erinnert mich an eine Dumpfbacke im Al Bundy Format, die vergessen hat, dass sie sich vor fünf Minuten noch etwas wert war.

Keine Antwort flüstere ich, bloß keine Antwort. Wir trinken noch ein Glas auf Paul und Gisèle, auf Rainer Maria und Hertha, Franz und Felice und noch eine Flasche Moet auf Jean Paul und Simone, wir sind unerreichbare, ephemere Wesen, uns selbst genug und atmen ein Stoßgebet Richtung Himmel; vielleicht haben die Götter Erbarmen und schicken einen von der alten Garde runter.

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