Saturday Night Fever Pitch
Langsam verkommt dieser Blog zu einer pilatesmüden Selbsthilfegruppe für Singles. Schon gut, ich will mal nicht so sein, zuerst mit großer Klappe von der Kanzel herab über Dating, Liebesbriefe und Partnerbörsen dozieren und dann meine Leser/innen frustriert und ratlos in der weiten Welt des Wahnsinns zurücklassen. Deswegen gibt es heute eine gratis Therapiestunde für beziehungstechnische Einzelwesen auf der Suche nach dem Traumpartner – dieses Mal nicht im Netz, sondern in der Realität, bei der es sich vermutlich um eine absurde Spiegelung der digitalen Fantasie handelt, in welcher Unbedarfte dem Irrglauben verfallen sind, ein Fußballmatch dauere 90 Minuten.
Leserin F. fand die traurige Wahrheit hinter meinen Geschichten amüsant und versorgte mich mit Stoff, was sich an einem Samstagabend auf weiter Flur abspielt. Dermaßen ernüchtert, so dass während des Scrollens durch den Leserbrief an der Bar zwei Aperol Sprizz wirkungslos verdunsteten, war das Schlimmste daran die Erkenntnis, dass siebzehn nicht vorgestern war. F. und Freundin M. warfen sich Samstag des Abends auf die Meile, auf der frau neben Unterhaltung einen oder besser noch zwei Männer zu finden hofft. Von nicht idealen Wetterbedingungen abgesehen kippte die Pirsch zu einem infernalen Trip from Dusk till Dawn.
Man muss der guten Ordnung halber erwähnen: es war der Samstag des Champions League Finales. Das Pflichtereignis war schändlicherweise sogar mir, der unangefochtenen Expertin für alle Mannschaftsaufstellungen zurück bis zum Tag als der SK Rapid Wien den deutschen Meistertitel holte, entglitten. Völlig entrückt und geblendet von der Schönheit der Toskana und der Konversation mit einem mir lieben Menschen blamierte ich mich bis unter die Tischkante, indem ich unbedacht Nachrichten mitten während der Verlängerung verschickte. Zur selben Uhrzeit erkannten F. und M. in ihrem Lieblingslokal betroppezt, dass die anwesenden Männer ausschließlich an spanischen Fußballhelden und nicht an ihren stöckelbeschuhten Beinen interessiert waren. Die Hoffnung auf einen hormonellen Gesinnungswechsel wurde durch die Verlängerung und das Elfmeterschießen torpediert. Verzweiflung. Lokalwechsel. Andere grölende Fußballfans. Noch ein Lokalwechsel, dasselbe in gacksigelb. Eine kilometerlange Tour de Force auf High Heels durch die Nacht endet mit dem Resümee von F.: Man lernt beim Fortgehen niemanden kennen, schon gar nicht, wenn Gott Fußball regiert. Die Frage an mich: was läuft da falsch und wo finde ich einen brauchbaren Mann?
Vorweg: Sorry Mädels, meine Antwort wird euch nicht gefallen.
Und nun zum Lili-Resümee und der Frage, wo, wo, wo um Himmels Willen finde ich ihn.
Das Ausgehen mit der besten Freundin nennt sich imho Mädelsabend und ist kein Raubzug, bei dem die Testosteronbeute schwesterlich aufgeteilt wird, die ohnehin kaum über den einen Abend hinausgehenden Lack hat. Man lernt niemanden ernsthaft kennen, indem man mit Stöckelschuhen in die Innenstadt stelzt. Die Chance erhöht sich um ein paar marginale Prozente, wenn man sich selbstsicher alleine auf den Weg macht. Erwartungslos. Im vollen Bewusstsein, vielleicht nur mit der Freundin WhatsApp Nachrichten über die Lage auszutauschen, mit sich alleine zu quatschen und trotzdem einen supernetten Abend verbracht zu haben. Und wenn der Samstagabend solo und nicht in einem romantischen Fever Pitch endet, schmeißt Frau von Welt keinesfalls die gute Laune über Bord, legt zu Hause Pink Floyd oder Rosenstolz auf und gönnt sich entspannt noch ein letztes Glas Rotwein. Sucht nicht krampfhaft, zieht nicht im Rudel los, nehmt es nicht so wichtig. Lasst das Schicksal den Ort, die Zeit und den Mann bestimmen. Ganz abgesehen davon: es waren doch Männer da ... vielleicht hätte der eine oder andere eine Chance verdient?
Ihr wollt Männer kennenlernen? Dann setzt euch damit auseinander, was diesen Männern in eben diesem Moment Freude macht. Es ist Fußball. Fußball ist eine Religion. Tretet der Glaubensgemeinschaft bei. Es tut nicht weh. So ein aus der Bauchgegend leidenschaftlich durch die Kehle Richtung Bildschirm geschleudertes „Jössas, bist du Koffer echt zu deppert für das Spiel? Was bitte hast du an primär missverstanden, ein drittes Tor bauen sie für dich nimmer, schieß endlich oder willst du die Wuchtel heiraten!“ oder ein an passender Stelle eingestreutes „Hoch wer mas nimma gwinnen“ zu seufzen, sagt mehr über multiple Höhepunktlandschaften einer Frauenseele aus, als die Marke der Handtasche, die Farbe des Lippenstifts oder die Bleistiftstärke der Absätze. Ein megaheißer Tipp: die Europameisterschaft naht. Le Rendez-Vous lautet das verheißungsvolle Motto der Euro 2016. Das ist DIE Chance. Entweder ran ans Leder oder ein Monat Flirtenthaltsamkeit. Am 14. Juni würde sich in einem Lokal mit Fernseher ein after-work Drink zum Anpfiff von Österreich – Ungarn anbieten, und seid versichert, wenn ihr es geschickt anstellt, werdet ihr die Qual der Wahl unter den anwesenden Männern haben. Um ins Gespräch zu kommen, schadet es nicht, sich im Vorfeld unnützes Wissen anzueignen, mit dem man einen scharfen Elfer landen kann. Das ist weibliche Taktik, kein Foulspiel. Rapid lag übrigens 1941 im Finale gegen Schalke im Olympiastadion in Berlin in der zweiten Halbzeit 0:3 zurück. Nach einem Anschlusstreffer in der 62. Minute machte Bimbo Binder mit seinen unhaltbaren Kanonenschüssen in der 63., 65. und 71. Minute die Sensation perfekt. Endstand 4:3. Legendär. Geschenkt, die Fans werden euch dafür lieben!
Knapp 75 Jahre später wurde Anfield zum Feld der Träume und wir verstehen erst seitdem, worauf Hunter S. Thompson mit dem Titel seines Buches „Better than Sex“ eigentlich anspielte. Das ist dann zugleich der ultimative Eignungstest für ihn: Wenn der Mann auf die beiläufige Frage „Hast du Liverpool-Dortmund gesehen?“ nicht in Tränen ausbricht, vergesst ihn. Er hat keine Ahnung von Fußball und ist nur zum Saufen da. Ich kenne den Menschen nicht, der es hier in Worte verpackte, aber für seinen Enthusiasmus würde ich ihn lieben bis ans Ende meiner Tage: „91. Minute: Lasst es mich zunächst so formulieren: Flanke, Kopfball, Tor, 4:3 für Liverpool. Und dann so: Die Erschütterung des Bebens, das sich gerade in Anfield ereignet, dürfte in Gianni Infantinos Büro einen asiatischen Briefbeschwerer aus dem Regal fallen lassen. 4:3 durch Lovren. Es ist Istanbul, es ist Malaga, bloß andersherum, es ist ein Wunder, es ist ein Desaster – es ist Wahnsinn, es ist Fußball. Was eigentlich das gleiche ist, wir hatten das nur leider vergessen. Wie konnten wir das vergessen? Wie?“ Es war das Spiel der Spiele. Wer da nicht vor Leidenschaft überkocht, ist schon tot. Und wir wollen doch eine Portion Leidenschaft, oder?
Zur Rapid-Viertelstunde die beste Nachricht überhaupt: Ihr seid nicht auf ein mickriges Mal pro Woche Saturday Night Fever reduziert, um einen John Travolta zu finden! Macht euch ab nächsten Freitag auf heiße 23 Abende Dirty Dancing gefasst. Es kann nicht schaden, sich die Namen unserer Teamspieler zu merken und ein paar Extrahausaufgaben ins Fußballerbrauthirn zu pauken. Nichts ist so sexy wie eine Frau, die weiß, dass das Wunder von Bern null mit einer Pilgerfahrt zu tun hat, wer Edson Arantes do Nascimento, Toni Fritsch und Roger Milla waren, dass der zwölf Zentimeter kleinere Dani Carvajal ein größeres Herz als der aalglatte Realnaldo hat, das Runde ins Eckige muss und das Spiel mit dem Schlusspfiff endet.
Go get him and you’ll never walk alone…