Worte die mir im Sommer Angst machen: Bademeister
Seestrandbad Tag 1
Auto direkt vor dem Eingang des Strandbads geparkt. Am See alles friedlich. Die Sonne strahlt, Lufttemperatur 35 Grad im Schatten, das Wasser angenehm kühl. Da tritt er in Erscheinung. Der Badmeister. Er bestimmt, wer wann wie schnell rutschen darf und was sich für Badegäste geziemt. Dabei kommt ihm kein Wort, schon gar kein Lächeln über die Lippen. Der Spross hat den Bademeister sofort durchschaut und nennt ihn Boris, die Bestie. Frei nach Men in Black. Die Ähnlichkeit ist zum Fürchten. Boris hat in der Tat etwas von einer Schabe, auf den ersten Blick nichts außerirdisches, eher Züge von einem Kärntner Gendarmen mit James Bond Allüren. Menschliche Regungen umspielen seine ansonsten starren Gesichtszüge höchstens beim Anblick knapper Bikinis, aber auch das nur für einen flüchtigen Moment. Der Spross stürzt sich die Riesenrutsche zusammen mit seinen zwei Stoffbadetieren hinunter. Die friedliche Stimmung wird jäh unterbrochen durch einen gellenden Pfiff der Bademeisterpfeife, wenige Minuten später sind ein Känguru und ein Hase ertrunken.
Keine Chance auf Rettung, weil der Spross im Würgegriff von Boris ausgiebig belehrt wird, es gehe nicht an, dass Tiere seine heilige Rutsche benutzen und deren Kadaver die Trinkwasserqualität seines Sees beeinträchtigen. Ich stelle mich schützend vor mein Kind und lenke Boris aus dem Stegreif mit einer Erklärung ab, um Schlimmeres zu verhindern: Ob man’s glaubt oder nicht, wir sind an dem tierischen Unfall ausnahmsweise fast völlig unschuldig, da es sich um ein extrem seltenes Gurktaler Alpen Känguru (GAK) handelte, an sich sehr scheue Tiere, die normalerweise den Kontakt mit Menschen und Wasser meiden. Dieses Exemplar wurde offenbar durch die in die Bergregionen aufsteigende Hitzewelle ins Tal gespült und taumelte von Boris anhaltendem Pfeifen erschreckt und von der Sonne geblendet in den See. An sich noch kein Unglück, denn auch wenn die entfernt mit Steinböcken verwandten GAKs in felsigen Gebirgshöhen beheimatet sind, sollen sie doch ausgezeichnete Schwimmer sein. Aber da kam der Hase ins Spiel … ein pathologischer Stammgast im Casino Velden. Nach einer Pechsträhne und zu viel Gin Tonic sinnesgetrübt, verwechselte er das Känguru mit seinem rattengesichtigen Black Jack Dealer, sprang hinterher und würgte es mit den Löffeln bis auf den Grund des Sees, was beide irgendwie überlebt hätten, wenn nicht ein zwei Meter langer, harmoniegesteuerter Single Wels die Streithasln mit einer Paargesprächstherapie versöhnen hätte wollen, was -so haben es Therapien oft an sich - zu Lähmung und emotionalem Scheintot führt. Ohne Luft zum Atmen letal. Da kann keiner wirklich was dafür, eine Verkettung ungünstiger Umstände, halt blöd gelaufen …
Jetzt habe ich den Faden verloren, na egal, jedenfalls kann ich Boris für eine Sekunde verwirren, obschon er mich kalten Blickes in den Boden starrt, meine Badetasche nach illegalen Drogen durchsucht und Rutschverbot für eine Stunde erteilt.
Schon beim nächsten Rutscher pfeift Boris den Spross wieder von der Rutsche, weil er bäuchlings abwärts saust und diese Art der Fortbewegung ist in Boris Kosmos nicht vorgesehen. Stumm schüttelt er den Kopf und droht mit erhobenem Zeigefinger. Nachdem noch zwei Mädchen, die das Rutschenwasser gestaut hatten, unter Androhung schwerer Konsequenzen des Bades verwiesen werden, lassen wir das Rutschen für diesen ersten Tag mal gut sein.
Seestrandbad Tag 2
So ein Glück, Auto parkt wieder vor der Eingangstür des Bades. Boris die außerirdische Bestie ist hinter seinen verspiegelten Brillen auf Wache und gibt sich unbeteiligt, während er in sein Handy hämmert. Vermutlich schickt er verschlüsselte Botschaften an sein Mutterschiff, das irgendwo im Orbit kreist. Unvermutet stellt er immer wieder neue Rutsch- und Baderegeln auf und bringt Kleinkinder zum Weinen. Was so einer wohl nach Badeschluss macht? In den Badeschlapfen nach Hause schlurfen und schnell mal die Alte verprügeln oder einen Schlachtplan zur Eroberung des Planeten durch die Schaben entwerfen? Was machen Bademeister eigentlich nach Ende der Saison? Maisfelder kreisrund abfacklen, Kühe von den Almen treiben, illegalen Schnaps brennen und sich zusammen mit anderem Aufsichtspersonal aus den umliegenden Gefängnis- und Irrenanstalten die Birne weich saufen? Winterschlaf in der Kryokammer des Raumschiffes? Kurzbesuch in der Heimatgalaxis? Wie auch immer, nicht mein Problem. Nachdem Boris – schon wieder – ein Kuscheltier mit dem Hinweis, keine Fremdkörper auf seiner Rutsche erlaubt, konfisziert, ist es Zeit, das Bad zu verlassen.
Spät abends suche ich Zuflucht in einer einheimischen Bar. Boris mixt hinter der Theke grünstichige Drinks. Es ist Vollmond. Boris Zähne werden immer länger und irgendwie wirkt er behaarter als im Sonnenschein. Als die Bestie mir den Cocktail Diabolo reicht, raunt er mir ins Ohr, „mach den Schlangentanz, Salma“. Die Szene hat verblüffende Ähnlichkeit mit From Dusk till Dawn und auf dem Feld vor der Spelunke landet sein Space-Transporter. Ich erinnere mich dunkel an zwei Männer in schwarzen Anzügen mit schwarzen Ray Bans, die mir einen Leuchtstab vor's Gesicht halten und mich blitzdingsen. Um fünf Uhr früh erwache ich schweißgebadet in meinem Bett und grübele noch eine Stunde darüber nach, ob das echt oder ein surrealer Traum war. Ich entscheide mich für Zweiteres – und sehe dem neuen Tag mit gemischten Gefühlen entgegen.
Seestrandbad Tag 3
So ein Glück, Auto wieder vor dem Eingang geparkt. Zu früh gefreut. Boris eilt uns entgegen, schüttelt den Kopf ganz heftig und zeigt mit dem Daumen nach unten. Wie lange wir da parken wollen, fragt er mit kehliger Stimme. Na ja, solange wir im Bad sind, also ca. bis am Abend, gebe ich forsch zurück. Nein bescheidet Boris, das ist ein Privatparkplatz. Ich sehe mich nach einem Schild um und Boris beeilt sich, aus einem Gebüsch eine Tafel hervorzuziehen, auf der mit Kreide steht: Parkplatz nur für Mitarbeiter und Lieferanten. Wir sind weder noch. Keine Diskussion. Ich parke das Auto in zwei Kilometer Entfernung auf einer Wiese, außer Sichtweite von Boris.
Boris trägt seine Spiegelbrille heute am Hinterkopf, was so aussieht, als ob er auch hinten Augen hätte ... sicher eine gefinkelte Tarnung, denn wahrscheinlich ist es so! Und er trägt ein T-Shirt mit Aufschrift „Bademeister“, vorne und hinten, damit gar nicht erst Zweifel an seinem Status aufkommen.
Bereits am Vormittag werden zwei Burschen ohne ersichtlichen Grund des Sees verwiesen, eingeleitet durch den dröhnenden Ruf, „ Wos fohlt eich eii?“, der zu einer kleinen tektonischen Verschiebung in den umliegenden Bergen führt und den Wasserpegel um 20 Zentimeter steigen lässt. „ Außa und Abmarsch, gemma , gemma, gemma! Seid's es deppart im Schädl?!“ Aha. Boris, der Klonbademeister, hat das Sprachprogramm „tiefstes Kärntnerisch“ aktiviert.
Ansonsten verläuft der Tag recht friedlich. Wir gehen Boris aus dem Weg und werden nur einmal verwarnt wegen Überholen auf der Rutsche. Die Nacht ist traumlos. Jedenfalls kommt Boris nicht drin vor. Ein guter Tag!
Seestrandbad Tag 4
Alles lässt sich gut an. Weit und breit kein Boris in Sicht. Hat offenbar seinen freien Tag und lungert mit anderen Außerirdischen an zwielichtigen Plätzen herum. Auf seinem Wachturm sitzt, es ist fast nicht zu glauben, ein Artverwandter von Boris der Bestie. Der Spross und ich haben schnell einen Namen für das Wesen und nennen ihn Iwan der Schreckliche. Iwan ist um drei Köpfe größer als Boris, was er auch durch seine gebückte Haltung und die O-Beine, von denen er eines nachschleift, nicht herunterspielen kann. Seine ersten Opfer sind eine Gruppe Kinder, die auf einer Decke Zuckerln vernaschen und das Wickelpapier auf einem Haufen sammeln. Iwan ergreift ein Kind am Nacken und drückt es mit der Nase in den Papierhaufen, wie einen Welpen, der auf den Teppich gemacht hat. „Sofort in den Mistkübel“, fordert er mit dünner, gruseliger Stimme und für einen kurzen Moment ist unklar, ob er das Kind oder den Papierhaufen meint. Jedenfalls vergattert er die Schar, allen Unrat im Umkreis von 100 Metern einzusammeln und müllgetrennt zu entsorgen. Dann nimmt er seinen Aufseherstuhl ein und grunzt selbstzufrieden. Als wir am Weg zum Rutschenturm an Iwan vorbeischleichen, schnaubt er Rauchschwaden aus seinen geblähten Nüstern wie ein wütender Drache. Das sieht recht bedrohlich aus, aber bald habe ich die hinter seinem Rücken versteckte Zigarette entdeckt, die dem Ganzen eine beruhigende, fast menschliche Note verleiht und Iwan im Fall der Fälle erpressbar macht. Die Rutsche wird für 20 Minuten gesperrt und Iwan wirkt schrecklich verloren.
Seine düstere Miene erhellt sich plötzlich. Humpelnd stürzt er auf eine Gruppe harmlos am Badesteg herumliegender Jugendlicher zu und verlangt Auskunft, wie alt sie seien, ob sie schwimmen können und wo ihre Eltern sind. 17 sagen die Jungs recht glaubwürdig. Iwan will die Schülerausweise sehen. Die armen Buben haben keine Ausweise mit, auch keine Eltern und müssen den Platz räumen … bald werden Boris und Iwan den See entvölkert haben, wenn das mit den Platzverweisen so weiter geht.
Als wir den Badetag beenden, nagelt Iwan mit einer Hacke einen Zettel an das Ankündigungsbrett: Samstag Rutschwettbewerb, Sackhüpfen und Mädchenweitwurf. Samstag sind wir bereits abgereist und das ist gut so.
Seestrandbad Tag 5
Weit und breit kein Bademeister in Sicht. Boris und Iwan sind wie vom Erdboden verschluckt und tauchen auch nicht auf. Unterschiedliche Theorien machen die Runde im Bad während alle wie toll alles tun was Spaß macht und verboten ist. Vielleicht haben sich die beiden aus der menschlichen Haut geschält und legen einen authentischen Auftritt am Set von Terminator 5 hin. Oder Boris hat seiner Alten noch schnell eine geknallt, ihr über die Schulter zugerufen, er holt mal Zigaretten und ist entweder unter einen Laster geraten oder hat sich zusammen mit Iwan ein paar Wodka Red Bull um die Wette eingefüllt und am Heimweg sind sie dann in einen Caritas Container gefallen. Vielleicht hocken Boris und Iwan in einer Bar in Mexico und saufen Tequila mit Che Guevara, dem echtem Paul McCartney und der Oma von Fox Mulder? Vielleicht ist Boris nach Schottland ausgewandert und bringt Nessie Manieren bei oder grillt sich ein Seeungeheuer am Spieß. Alles plausibel.
Mein Gott ist das ein schöner Tag. Nachmittags zieht ein mächtiges Gewitter auf, aber wir bleiben in der bademeisterfreien Spasszone bis nach Einbruch der Dunkelheit. Während die Sprösslinge die Rennrutsche tunen und mit den Blitzen um die Wette rasen, trinken die in Erinnerungen an die eigene lasterhafte Jugend schwelgenden Mütter Aperol Sprizz bis zum Abwinken, degradieren die paar anwesenden Männer zum Angeln und Grillen, rauchen selbstgedrehtes Schilfgras und werfen mit Bierdosen und Steinen um sich. Irgendwer grölt „So ein Tag, so wunderschön wie heute“. Das Gelage erinnert entfernt an Woodstock. Alle sind glücklich und dem Weltfrieden ziemlich nahe.
Seestrandbad Tag 6
Boris ist zurück. Die meisten von uns laborieren noch am Kopfschmerz der vergangenen Nacht und versuchen unauffällig Flaschen, Bierdosen und Reste von gegrilltem Fisch verschwinden zu lassen. Über das Schicksal von Iwan herrscht Ungewissheit. Wo auch immer Boris war, die Schabenoberbosse müssen ihn ausgetauscht haben. Er spricht. Freundlich. Hilft einem Rollstuhlfahrer beflissen in den See. Scherzt mit den Kindern. Aus seinem Handy tönt abwechselnd Vogelgezwitscher und Winds of Change. Typischer Fall von Gehirnwäsche in der Raumstation. Ich traue dem Frieden nicht. Das ist die Ruhe vor dem Krieg der Welten. Wir treten die Flucht Richtung Meer an, wo es keine Bademeister gibt, denn dieser Ort hier ist unheimlich, gespenstisch, die Wiege des Bösen.