Champagnerbad mit Preiselbeeren
Am besten prahle ich einleitend mit den Heldentaten meines Tages. Nicht, dass am Ende der Eindruck entsteht, ich wäre eine wandelnde Hilflosigkeit auf zwei Beinen. Todesmutig gehe ich daran, mein in Dunkelheit versinkendes Heim mit neuen Glühbirnen auszustatten. Sechs an der Zahl kann ich unfallfrei wechseln. Kein Leitersturz, kein Stromschlag. Der Austausch eines der Leuchtmittel ist mit einem akrobatischen Balance-Kunststück auf den Rändern meiner Badewanne verbunden, aber ich habe den schweren Hund von Glasabdeckung unter schmerzverzerrtem Protest meiner Oberarmmuskulatur wieder in die Minilöcher an der Decke geschraubt, und es hält, vorerst. Von so viel Handwerksgeschick motiviert mache ich mich an die Reparatur des Schlosses der WC-Türe. In den unaufgeräumten Tiefen meiner Werkzeugkiste entdecke ich tatsächlich unter Aufbietung all meiner Fantasie einen Hacken, mit dem die entscheidende, versteckt liegende Schraube angezogen werden kann. Ich glaube, das Ding nennt sich Imbus und ich bin mächtig stolz, dass mir dieses Wort eingefallen ist.
Nach all dem ist mir feierlich nach einem Gin Tonic, aber ich kann mich zurückhalten, vor allem weil mir rechtzeitig einfällt, dass es halb sechs am Abend ist, der Spross Belehrungen über die Europäische Union und einen gepackten Koffer erwartet, und ich den ganzen Tag erst ein Croissant und ein Joghurt als Unterlage in mich geschaufelt habe. Also begnüge ich mich mit einem schlappen Thunfisch-Tramezzini. Während ich vor mich hin kaue und meine Meisterleistung per WhatsApp der Männerwelt verkünden will, fällt mein Blick auf den leeren Kerzenständer. Da muss auf der Stelle eine Kerze rein. Wer will schon Kerzen in die stets zu kleine Halterung kunstzuschnitzen, und fluchend einen Moment der aufkeimenden Romantik killen. Behend hechte ich in die Abstellkammer, wo im Chaos keine Spur von den langen Kerzen auszumachen ist. Ein Zellophanpapier glitzert mich an, in dem die Dinger versteckt sein könnten. Als ich anziehe, löst es sich vom Inhalt und reißt eine noch geschenksverpackte Flasche Preiselbeer-Champagner aus dem Regal, die im nächsten Moment am Boden in tausend Scherben zerschellt. Der rote Saft und die Preiselbeeren ergießen sich über den Boden, rinnen durch die Fugen unter die Regale und es entkommt mir leise resignierend das F-Wort. Meine Putzfee zurücksehnend, die mich vor einer Stunde verlassen hat, hole ich ein Wettex und eine Küchenrolle und wische mir prompt einen Splitter in den Finger. Das F-Wort, schon wieder. Der Finger blutet wie Sau. Mein lauter Schmerzensschrei lockt den Spross nicht vom Computer weg. Ich wische stoisch weiter, das pickige Zeug großflächig verteilend, während ich alle zehn Sekunden mit dem Wettex zum Wasserhahn pendle, wo ich mir bei Ausspülen einen weiteren Splitter in die Handfläche ramme. Das F-Wort in schrillen Koloraturen gesungen interessiert niemanden im Umkreis von vier Zimmern. Die Hand färbt sich blau. Die Katzen sind vom Alkoholdunst enthemmt, versuchen etwas vom Champagner aufzuschlecken und mit den Preiselbeeren Fußball zu spielen. Als ich den Kater verscheuche, reißt Suarez mir mit seinen Fangzähnen fast die linke Hand ab. Rot allenthalben. Ich könnte in dem Kammerl unbemerkt verbluten, werde von den Katzen gefressen, und keiner merkt, dass ich weg bin. Es ist mir nach Handwerksprofessionisten, nach einem Coke light Mann mit Palmenwedel und Kerzenanzündererfahrung, nach einem kräftigen Hauch von Nougat an Valrhona Schokolade und einem heißen Schaumbad. Bei meinem Glück wird sich die Massivglasabdeckung lösen und mich in der Badewanne erschlagen.
Verstört denke ich an die lächerlichen Fragebogen des Lorenz Böhler (Resultiert Ihre Verletzung aus häuslicher Gewalt?), wo die Weißkittel die Augen verdrehen werden, wenn die ungeschickteste Frau der Welt mit einer noch unglaubwürdigeren Geschichte als die letzten Male antanzt, blutverschmiert wie einem Stephen King Szenario entsprungen. (Es geschah beim Aufwischen der Scherben einer Flasche Preiselbeer-Champagner, und dann hatte die Katze einen Blutrausch… Wo genau ist das passiert? … In einer Abstellkammer… Nein, Boris Becker war nicht da.) In der Abstellkammer riecht es wie im Morgengrauen beim Branntweiner. Jetzt ist mir nach einem Gin Tonic. Einem dreifachen, um genau zu sein.